Ein Selbstwertproblem?

Frauke Niehues referierte in einer Online-Veranstaltung der Milton Erickson Gesellschaft im Mai 2021 ihr Konzept zum Thema Selbstwert. Einige Gedanken daraus möchte ich heute hier teilen. Gleichzeitig verweise ich auf ihre Homepage frauke -niehues.net (bitte ohne Leerzeichen eingeben, damit es klappt), die ich einen Besuch wert finde. Nun also Aspekte aus ihrem Vortrag/Workshop, wie immer mit einigen Einstreuungen von mir:

Stellen Sie sich doch einmal die Frage, was Negatives geschehen könnte, wenn Sie sich Ihrer Fähigkeiten bewusster wären und einen gesteigerten Selbstwert erleben würden: Womit würden Sie rechnen?
Manche geben solche Antworten: Andere halten mich dann für arrogant. Ich werde mehr in die Verantwortung genommen. Ich bekomme mehr Aufgaben. Ich könnte Gegenwind bekommen. Man hielte mich für egozentrisch. Ich entwickle eine andere Sicht auf meine Situation und könnte einen Veränderungsdruck ausbilden – dem ich eventuell nicht gewachsen wäre.
Wie lautet Ihre Antwort?

Diese Ängste sollten Beachtung finden, wenn am Thema Selbstwert gearbeitet wird! Sonst stagniert der Prozess womöglich.

Das Selbstwertmodell von Frau Niehues beruht auf der Idee von Schichten.

  1. Grundgefühl
    Bin ich gut? Bin ich schlecht?
    Hier möchte ich einfügen, dass geprüft werden sollte, nach welchen Maßstäben Sie dies beurteilen möchten. Woher kommen diese Maßstäbe?
    Werde ich gemocht oder abgelehnt? Dies nenne ich: Mache ich meinen Selbstwert von der Zustimmung anderer abhängig?
    Dieses Grundempfinden wird in der Entwicklung schon früh ausgebildet und durch enge Bezugspersonen beeinflusst. Dies vor allem bei der Frage Bin ich gewollt, bin ich nicht gewollt?
    Kinder, die nicht hätten auf die Welt kommen sollen, spüren dies sehr früh. Manchmal ist die elterliche Aufklärung darüber leider sehr wenig reflektiert und achtsam. Wenn ein Kind kein „Wunschkind“ war, eine Abtreibung erwogen oder versucht wurde, schlägt die Information zum falschen Zeitpunkt und aus falscher Motivation heraus tiefe Wunden. Wenn Kindern mitgeteilt wird, dass sie zu finanziellen Nöten beitragen oder Karrieresprünge vereitelt haben, ebenso.
  2. Selbstakzeptanz
    Kann ich zu mir stehen, auch wenn ich Fehler mache?
    In meiner Sprache nenne ich es so: Mache ich meinen Selbstwert von Leistung abhängig?
  3. Selbstwirksamkeit
    Kann ich mit meinen Handlungen etwas bewirken?
    Was habe ich schon versucht? Was noch nicht? Bin ich am richtigen Ort? Habe ich die nötigen Werkzeuge?
  4. Fähigkeitenpräsenz
    Habe ich eine Bewusstheit über eigene Fähigkeiten und Stärken, kann ich dieses Wissen in kritischen Situationen abrufen?
  5. Systemischer Bezug
    Was leite ich aus meinen Fähigkeiten ab und wie reagiert mein Umfeld darauf?

Gerade der letzte Punkt sollte nicht außer Acht gelassen werden, wenn sich eine Person – mit oder ohne Unterstützung – aufmacht, ihren Selbstwert auf den Prüfstand zu stellen.
Ich kenne Menschen, denen die Eltern einengend und ablehnend gegenüberstanden, denn sie erlebten die Fähigkeiten des Kindes oder Heranwachsenden als Herabwürdigung des eigenen Wertes. Das erste Kind in einer familiären Kette, das studiert…
Manche Eltern wollen ein Geschwisterkind vor dem anderen schützen. Dies ist häufig der Fall, wenn eines Förderbedarfe im schulischen Leistungsspektrum aufweist und dem anderen Kind alles nur so zuzufliegen scheint.
Manche Kinder wurden in der Schule ausgegrenzt und sogar körperlich verletzt, weil sie im Leistungsvergleich erfolgreicher waren als die anderen.

Wer dergleichen erlebt hat oder sogar immer wieder erlebt, am Arbeitsplatz, im Verein, in einer engen Beziehung, im Freundeskreis, wird es schwer glauben können, dass ein erhöhtes Selbstwertgefühl das Leben leichter machen kann. Dass Angst und Scham nachlassen und Spontaneität zunehmen kann.

Das System und der Kontext wären also zu prüfen: Bin ich von Menschen umgeben, die sich mit mir freuen, wenn es mir gut geht und ich Erfolge erziele?

Diese Prüfung kann sehr aufschlussreich mit dem Systembrett bewerkstelligt werden oder mit der Methode Punkt-Punkt-Komma-Strich von Manfred Prior:

Drei Stifte brauchen Sie, schwarz steht für neutral, rot für problembehaftet, grün für unterstützend. Sie achten auf innere Bilder, mit denen Sie sich sprachlich mitteilen.
Beispiel: Sie zeichnen sich und Ihre_n Partner_in. (Schwarz) Sie sagen zu sich „Ich fühle mich immer so klein!“ Sie zeichnen sich klein daneben (Rot). Sie beide lieben sich „eigentlich“, Sie zeichnen ein Herz (Grün). Aber wenn er / sie Stress hat, dann macht er / sie mich runter. Sie zeichnen ein rotes Symbol für Stress und die Tätigkeit des Runtermachens illustrieren Sie nach Ihren Einfällen.
Grün benötigen Sie nun, um die vorhandenen oder erforderlichen Ressourcen darzustellen, um diese Dynamik zu verändern.

Im Dialog mit Berater_innen oder Therapeut_innen kommen häufig kreative (Auf)Lösungen zustande!

Ein Beispiel aus der Arbeit mit dem Systembrett: Sie haben sich mittels einer kleinen Figur und an den Rand gestellt? Sie haben einige Bezugspersonen auf Podeste gestellt? Wo stehen die? Wo schauen die hin? Gibt es Allianzen? Haben Sie Verbündete für sich gestellt? Nein? Was brauchen Sie? Was könnte Sie aus dieser misslichen Lage befreien? Was können sie tun?

Nun wieder Frauke Niehues: Wie regulieren Sie Ihr Selbstwertgefühl? Wie schaffen Sie es, ein unrealistisches, geringes Selbstwertempfinden zu haben? Stellen Sie sich ein Fußballspiel vor. FC Entwerter spielt gegen FC Selbstwert. Wie wird gestürmt? Wie werden Tore geschossen? Mit welchen Sätzen? Wie wird verteidigt? Was macht der Schiedsrichter? Sind Fans anwesend? Wodurch ist FC Entwerter so gut? Was ist nötig, um FC Selbstwert zu stärken? Wie geht das Training?

Mögen Sie sich mit diesen Fragen beschäftigen? Mögen Sie eine der Methoden ausprobieren?

Wollen Sie sich mit anderen darüber austauschen? Oder sich das mal aufschreiben, was dabei an Gedanken in Ihnen auftauchte?

Und dann möchte ich Sie noch anregen, einen Umriss von sich zu zeichnen, ähnlich einem Lebkuchenfrauchen/männchen. Malen Sie ein paar Rosinen hinein, oder süße Mandeln. Dann noch ein paar Bittermandeln. Vielleicht gibt es etwas, was Sie weniger gern essen, aber sich vorstellen, dass andere das mögen, Orangeat vielleicht? Es ist nicht erlaubt bei dieser Übung, nur Rosinen zu zeichnen oder nur Bittermandeln oder nur Orangeat. Es soll ja in die Richtung realistisches Selbstbild gehen! ?

Eine gute Woche!