Zwischenruf: Persönlich leben

Aus dem Vortrag „Persönlich leben“ von Wolf Büntig auf auditorium netzwerk heutige einige Denkanstöße
(nicht wörtlich, nicht vollständig, nach meinem Geschmack):

In Abhängigkeit von der Mutter-Kind-Interaktion und der Interaktion mit Menschen, die unser Hineinwachsen in die Welt maßgeblich bestimmen, entwickeln wir unsere Lebenskunst.

Oft allerdings beginnt es als ärztlicher Unfug: Die Amniozentese, die Punktation der Fruchtblase, meist zum Entdecken genetischer Handicaps, ist für den Fötus ein tätlicher Angriff. Er krümmt sich und wehrt sich reflektorisch.
Ultraschall ist wie das Wummern starker Lautsprecher, denen wir nicht entkommen können.
Keine Hausgeburt? Schon der Weg in die Klinik verzögert die Wehentätigkeit.
Ein medizinisch nicht notwendiger Kaiserschnitt: Grundsätzlich beraubt er das Kind um das Erleben des ersten Triumphes „Boähh, das war anstrengend! Geschafft!“
Narkosegeburt: Sie betrügt uns um die Begrüßung durch die Mutter, noch ganz ermattet und (hoffentlich) einfach froh! Und so, fernab jeder Wertung und frei von Zukunftsideen könnten wir freudig wahrgenommen werden: „Da bist du ja!“

Die Abnabelung vor der Entwicklung des eigenen Atems: Das ist akuter Überlebensstress für den Säugling, schockartige Atemnot!
Das Aufhängen an den Füßen, damit er atmet: Das Rückgrat ist hierfür noch nicht ausgebildet.
Dann auf den Rücken schlagen, damit er endlich atmet.

Dann kam früher die Isolation im Babyzimmer, es hieß unter dem Verlust der vertrauten Mutter und zusammen mit anderen brüllenden Säuglingen keinen Schlaf zu finden. (Wer davon nicht betroffen war, mag sich glücklich schätzen!)

Füttern nach der Uhr: Hunger, aber nichts bekommen? Es folgt Resignation, erstes Totstellen,
erstes Erleben der Selbstunwirksamkeit, der Schrei nach Nahrung bleibt ohne Erfolg, danach wird das resignierte Schlafen gestört durch Futterangebot. (Das ist heute hoffentlich endgültig vorbei!)

Und später in der sogenannten Trotzphase: Unsere Eigenart wird abgewertet, die Anpassung an „erwachsene“ Werte wird durchgesetzt. Zwei verschiedene farbige Socken, das geht also nicht? Aha.

Erziehung in Redewendungen:
Lass dich nicht so gehen! Halt den Mund! Hör auf zu heulen! Frag nicht so viel! Lach nicht so blöd! Mach den Mund zu, sonst siehst du so doof aus! Wer glaubst du, dass du bist? Pfui, schäm dich!
Na, klingt noch was davon nach? Hören wir es noch immer in Bus und Bahn und öffentlichen Wegen?
Da wird uns vieles genommen, auf dem Weg zu uns selbst!

Und brauchten Mutter oder Vater Bestätigung durch unsere Anhänglichkeit oder Bewunderung?
Und brauchten sie es, dass wir für unser Skelett zu früh stehen konnten, zu früh schon „sauber“ waren? Waren sie stolz auf unser frühes Sprechen?

Wir folgten dem Anpassungsdruck, wir wurden Darsteller statt Person.

Wir vergaßen, was für uns stimmt und wie wir unserem Wesen treu bleiben können, denn wir wollten dazugehören.

So fielen viele von uns kollektiv in eine „normale Depression“.

Persönlich leben wäre: Unser ganz eigenes Potential leben zu lernen, als schöpferische Leistung.

Worum geht es in meinem Leben, welches Lied möchte ich singen, was will das Leben gerade von mir?

Uns auf den eigenen Weg zu machen, ist oft von „schlechtem Gewissen“ begleitet, weil falsche Loyalitäten, auch innere, uns festhalten wollen und uns fürchten lassen, Zugehörigkeit zu verlieren.

Lebendigkeit und Sicherheit sind Pole auf einem Kontinuum. Wir können die Lebendigkeit suchen,
fühlen lernen, staunen üben und uns damit aus Identifikationen lösen.

Wir selbst werden.

Eine gute Zeit!