Nach Reinhold Bartl in einem Workshop für die Milton Erickson Gesellschaft im März 2021
Therapie und Beratung bedeutet, Menschen dabei zu unterstützen, die Informationen aus ihrem eigenen Leben zieldienlich aufzubereiten und zu bewerten. Für die hypnosystemische Sicht ist der Blickwinkel entscheidend, nämlich die Beziehungsgestaltungen zu untersuchen, in denen diese Menschen leben und sich organisieren. Dabei kann die Metapher helfen, sich eine Fußballarena vorzustellen, von der aus mit Abstand das Geschehen auf dem Feld betrachtet werden kann. Wir sitzen mit unseren Klienten auf der Tribüne und beobachten die Dynamik zwischen den beteiligten Menschen. Alle relevanten Angehörigen spielen z.B. mit, auch die physisch nicht (mehr) anwesenden.
Wir nehmen mit dieser Perspektive eine Haltung ein, mit der wir uns vom sogenannten Problem abtrennen und die Szenerie beobachten. Man könnte es nennen: Aus der Innenperspektive in die Außenperspektive gehen, denn dort erleben wir uns in der Regel kompetenter.
Wir können gut erkennen, dass wir mit unserem Symptom in einem bestimmten Kontext stehen, wir sind nicht das Symptom und wir haben auch keine Krankheit, sondern dieses Symptom erleben wir in bestimmten Situationen. Zum Beispiel können wir tags gut und erfolgreich arbeiten, abends dann zum Glas oder zur Tüte greifen, in einer Weise, mit der wir uns schädigen. Vielleicht wollen wir das bewusst nicht länger tun, aber es geschieht scheinbar unwillkürlich, dass wir es doch tun.
„Ich will ja auf hören, aber e s geht nicht!“ Hier haben wir also einen Konflikt zwischen intuitiver Gefühlswelt und bewusster Wollenwelt. Dies führt zu Leid und meist auch abwertender Haltung von außen. Im möglicherweise nachfolgenden Kater auch von innen.
Wir stellen fest: Wir sitzen zu dritt auf der Tribüne! Die Person, die will und die Person, die fühlt und die sich oft durchsetzt, sitzen neben der Therapeutin. Eine will aufhören, aus Vernunft, die andere fühlt sich wohl mit dem Glas in der Hand. Wir erleben einen Zielkonflikt.
Menschen sind sinnlich orientiert, sie suchen nach freudvollen und lustvollen Erlebnissen. Daran ist nichts falsch oder gestört. Und warum verzichten? Nun, spätestens dann, wenn wir merken, dass wir mit unserem Verhalten unsere Lebensgestaltung schädigen, zum Beispiel Geld verspielen, das wir benötigen, Gewicht zulegen, das uns krank macht, wird der Konflikt deutlich. Das alles macht uns noch lange nicht zu einem verantwortungslosen Menschen.
Das Leid in diesem Konflikt entsteht dann, wenn ein Verlust von Wahlfreiheit erlebt wird. Unter Umständen wird dies zunächst nur von außen an die Person herangetragen. Du sollst das nicht machen, Du sollst nicht wählen dürfen! Innen kann es sich anders anfühlen. Es kann sich nämlich genau wie Wahlfreiheit anfühlen, in dem Moment, in dem wir zur Zigarette greifen. Wir sollten als Therapeut_inn_en unbedingt danach fragen! Ist das so? Fragen, nicht zuschreiben!
Was wird gewählt? Und wozu?
Der Konsum von Giften, das Kaufverhalten oder das Glücksspielverhalten wird häufig selbstwertstärkend erlebt! Wir könnten denken: Das Suchtmittel verspricht es! Es ist ein guter Verkäufer! Es verkauft ein Lebensgefühl! Es geht nicht ums Mittel, es geht um das Versprechen.
Wieso erliegen wir diesem Versprechen? Manchmal handelt es sich um einen Lösungsversuch, sich herauszunehmen aus etwas, das nervt, anekelt, stört. Und dieser Lösungsversuch wird dann keinem Realitycheck unterworfen.
Die Schule mit ihrem Leistungsanspruch nervt, im Computerspiel kann ich mich als super leistungsstark und erfolgreich erleben. Wehe, es misslingt! Ich mach weiter, bis es gelingt. Realitycheck? Morgen früh bin ich wieder der Depp. Manche gehen nicht mehr hin, in diese Realität.
Zucker? Schoki? Für wenige Minuten fühlen wir uns richtig gut. Schnell und intensiv! Die Folgekosten bleiben verborgen. Erstmal. In dem Moment ganz gewiss!
Pornos? Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Männern, die ihr Dominanzstreben miteinander teilen. Mann ist unter sich – wir sind doch in Ordnung! Das Gemecker bleibt außen vor.
Überlege mal:
Was tust Du richtig, richtig gerne? Oder was hast Du schon mal richtig, richtig gern gemacht? Ist das schon seit langem so? Was ist so toll daran? Da ist die Sehnsucht, da will es hin gehen…
Gibt es massive Kritik von außen daran? Wenn Du dem nachgeben würdest, wie wäre das für Dich? Was verlörest Du, wie fühlte sich das an?
Wenn Du lieber Deiner Leidenschaft weiter folgen möchtest, gleichzeitig aber weiter der womöglich massiven Kritik ausgesetzt wärest, was würdest Du mit Deiner Leidenschaft tun? Würdest Du sie sein lassen? Eher nicht, sehr wahrscheinlich suchst Du Dir Gleichgesinnte, eine Peer-Group, wo Du nicht andauernd angemotzt wirst oder hochgezogene Augenbrauen oder ein wissendes Grinsen erntest!
Den Kritiker_inne_n wirst Du ausweichen, schönfärben, vermeiden. Anstrengend, leider!
Dieses Sehnsuchtssystem von Verhalten und Verbergen kann auch von abwesenden Kritikern bevölkert sein, sogar von nur vorgestellten, oder den inneren Stimmen …
Wir Menschen haben eine strukturierte, disziplinierte und außenorientierte Seite, die uns befähigt, klarzukommen, nicht vor ein Auto zu laufen, obwohl wir doch über die Straße wollen. Wir haben auch die andere, die Seite nämlich, die Mühen scheut und Hindernisse doof findet. Diese Seite wird gern kritisiert. Soll so nicht sein. Und da lockt uns das Suchtmittel, schwenkt die Fahne, auf der steht: Von mir kriegst Du’s, das Vergnügen, schnell, verlässlich, unbedingt. Bei mir darfst Du Dich der Situation ganz hingeben, ohne an die Beschränkungen zu denken!
Dann denken wir, wenn wir süchtig entgleisen, wir seien süchtig nach dem Mittel. Es geht aber um die Wirkung. Es soll gut tun, es soll helfen. Dies soll nicht bedroht werden!
Manchmal übernimmt jemand anders komplett die strukturierte / strukturierende Seite, regelt alles. Und kritisiert. So wird eine Co-Abhängigkeit kreiert.
Da alles kann auch im inneren System geschehen: eine gegenseitige im Kampf verbundene Abhängigkeit, ein Tauziehen, bei der die situativ lustbringende Seite gewinnt. Und der Eindruck entsteht: E S ist mir passiert.
Therapeutisches Vorgehen wird die Sehnsucht hinter der Sucht würdigen! Wer ließe sich freiwillig seine Sehnsucht nehmen? Die heißen wir willkommen! Slow Motion auf die erwünschte Wirkung, mit allen Sinnen! Wir holen die Sehnsucht ins Ich-Erleben, ins willentliche Gestalten. Nicht einfach, aber machbar!
Das Verhalten und seine Kosten können wir gemeinsam einem Check unterwerfen. Die Geschichte von Verhalten und Kritik daran können wir in der Arena betrachten. Wir können lernen, wie alles konstruktiv in Bezug zueinander gesetzt werden kann. Wir drei auf der Tribüne.
Eine gute Zeit bis zum nächsten Mal!