Ich schau gern Krimis, dabei entspanne ich mich. Manche finde ich platt und blöd, manche finde ich spannend und klug gemacht. Aber auch bei diesen werden bestimmte Stereotypien wieder und wieder an die Zuschauenden gebracht und ich weiß, das nervt nicht nur mich. So zum Beispiel die bevorzugte Darstellung von Frauen als Opfer schwerer Gewalt, hilflos… Nervig!
Heute will ich davon schreiben, wie ich die Darstellung von Menschen mit einer bestimmten psychischen Erkrankung finde: falsch und schlimm! Vorzugsweise wird ein verfälschendes Bild von an Schizophrenie Erkrankten gezeichnet.
Haben diese wirklich so durchgängig eine doppelte Persönlichkeit, bei der die eine Gewalttaten begeht, von der die andere nichts weiß? Sind sie wirklich so gefährlich, wie dargestellt? Nein und nochmal nein!
Psychotische Zustände, die dem sogenannten schizophrenen Formenkreis zugeordnet werden, sind leidvoll für diejenigen, die sie durchleben. Sie sind gekennzeichnet durch Ängste, Bedrohungsgedanken, verzerrten und einseitigen Wahrnehmungen, manchmal dem Eindruck, Aufträge erfüllen zu müssen und all dem schutzlos ausgeliefert zu sein.
Manchmal fühlen sich Menschen ausspioniert und verfolgt und verschanzen sich in ihrer Wohnung. Sie erleben die Welt da draußen als Gefahr, und niemand mag ihr Erleben teilen, sie sind damit allein.
So kann es sein, dass sie viel zu wenig essen, denn einkaufen zu gehen, ist gefährlich. Kontakte werden gekappt, denn diese werden als feindlich erlebt. So schädigen sich Betroffene ungewollt selbst, ihr Zustand verschlechtert sich.
Es ist schwer, jemandem beizustehen, wenn er oder sie in diesem Zustand ist! Sie oder er möchte vielleicht Kontakt, aber die Angst und das Misstrauen überwiegen.
Sehr selten lebt jemand als gespaltene, also doppelte Person. Oft hingegen leben die Betroffenen in zwei Wirklichkeiten: in einer, die von der Mehrheit ebenso erlebt wird und in einer zweiten, die von anderen nicht verstanden wird, weil sie bizarr und verzerrt erscheint, irreal. Mal ist die eine Welt im Vordergrund, mal die andere. In einem akut psychotischen Zustand ist es vergebens, den erkrankten Menschen überzeugen zu wollen, dass die Welt nicht so bedrohlich und gegen sie verschworen ist, wie sie es erleben.
Ein Zugang zum Verständnis könnte doch sein, sich einzugestehen, dass wir beinahe alle manches schon mal verzerrt wahrnehmen, dass wir Böses hinter dem Verhalten anderer vermuten, vor allem, wenn wir uns ohnehin nicht wohl fühlen und uns der Ausweg aus einer misslichen Lage momentan unklar ist.
Es könnte doch sein, wenn wir etwas in unserer Geschichte spazieren gehen, dass wir Zeiten bemerken, in denen wir uns nicht eins mit der Welt gefühlt haben, wie herausgefallen. Schon die Trauer über einen verstorbenen Menschen kann dazu führen, dass wir uns abgeschnitten erleben, anders, einsam.
Liebeskummer? Die ganze Welt ist voller glücklicher Paare, oder etwa nicht?
Überflutet von Traurigkeit suchen wir nach Auswegen, manchmal in unsinniger Weise – sagen die anderen. Sie verstehen uns halt nicht. Wollen uns belehren und wir machen zu. Wir wissen es besser.
Unsicherheit kann dazu kommen, was wichtig und bedeutsam ist und was nicht. Wir erschöpfen uns mit dem Versuch, wieder zurecht zu kommen.
Ideen nehmen übermäßige Gestalt an, Groll mündet in Rachephantasien, Wunsch nach Schutz wird zu Größenphantasien… Jetzt sind die Unterschiede zur Psychose immer noch vorhanden, aber der Zustand scheint uns nicht mehr ganz so fremd?
- Wach und sehr aufmerksam zu sein – oder nicht zur Ruhe kommen zu können
- Kreativ und energiegeladen zu sein – oder den Alltag zu vernachlässigen
- Die Gedanken sprudeln – oder sie überschlagen sich und gehen durcheinander
- Ein Gefühl der Durchlässigkeit für Eindrücke zu haben – oder Reize nicht filtern zu können
- Vorsicht oder Misstrauen
- Wachsamkeit oder wahnhafte Gedanken
- Sich schützen zu wollen aber die Furcht erleben, es nicht zu können
- Ausgeprägte innere Bilder – oder wahnhaftes Erleben der Szenen im Außen
- Rückzug zum Selbstschutz – oder Rückzug in innere Welten bei Ausschluss der äußeren
- die Grenzen fließen.
Einem Menschen in der akuten Psychose können wir mit Verstehen begegnen, dafür, wie schlimm es ihm gerade ergeht. Wir unterlassen es, ihm seine inneren Bilder zurecht rücken zu wollen. Nach dem Abklingen der akuten Phase lassen wir uns berichten, wie es ihm gegangen ist.
Bei einigen bleibt es bei einer einzigen Phase! Vielen ergeht es in den Zwischenzeiten so, dass sie sich vollständig erholen. Manche sind auch in den Zwischenzeiten eingeschränkt, sie können sich schlecht konzentrieren, haben nur geringen inneren Antrieb oder haben wenig Ausdauer.
Die Betroffenen kennen ihre sogenannten Frühwarnzeichen oft – hier sind sie noch gut ansprechbar dafür, sich professionelle Hilfe zu suchen. Diese können sich als Unruhe, Überempfindlichkeit, Leistungsknick äußern oder im Wunsch nach sozialem Rückzug.
Nicht alles, was schwierig erscheint, ist unbedingt ein Frühwarnzeichen. Wer immer schlecht schläft, bei dem ist es keines. Wer immer dazu neigt, alles als Kritik zu deuten, lebt damit und muss nicht in Angst auf die nächste Krise schauen. Es ist wichtig, auch hier immer im Blick zu behalten, dass jeder Mensch einzigartig ist, und wir verzichten darauf, Checklisten aus Büchern auf die Psyche von Menschen anzuwenden.
Ist die Krise eingetreten, gilt das Gleiche. Häufige Anzeichen sind ein veränderter Umgang mit Sprache, sowohl im Verständnis, als auch im Gebrauch. Neue Wörter werden erfunden, die von anderen nicht verstanden werden.
Die Erkrankten können dazu neigen, Zusammenhänge herzustellen, wo niemand sonst sie zu erkennen vermag. Da erscheint der Außenwelt etwas als Stimmungsschwankung ohne Grund. Die erkrankte Person hingegen sieht deutliche Bezüge zwischen Dingen und Ereignissen und interpretiert für sie selbst schlüssig. Darauf reagiert sie dann.
Mehr und mehr kann der Körper in Alarmbereitschaft geraten.
Die Welt wird mehr und mehr zu einem unheimlichen Ort.
Halluzinationen in Gestalt von Menschen, die sonst niemand sieht, sind eher selten. Stimmen werden eher öfter gehört – allerdings ist Stimmenhören kein zwingender Hinweis auf einen psychotischen Zustand, dies kommt auch anderwärts vor.
Jemand hört, wie eine Flüsterstimme zu ihr spricht und glaubt, dass eine fremde Person ihr Verhalten steuern will – das ist schon ein deutlicheres Zeichen. Bleibt so ein Mensch dem unbedingt hilflos ausgeliefert? Muss man den wegsperren, weil er demnächst jemanden von hinten angreift und tödlich verletzt? Nein! Auch da gilt es, genau zu erforschen!
Gefährdung anderer, unbeteiligter Personen, unerwartet, aus dem Nichts: Das gibt es, keine Frage. Es ist die Ausnahme. Unter schizophrenen Schüben Leidende gefährden in erster Linie ihr eigenes Leben und verlieren ihre eigene Lebenszufriedenheit.
Die eine Schizophrenie gibt es nicht, und allein eine ärztliche Diagnose kann nicht vorhersagen, wie die Krankheit im Weiteren verlaufen wird. Die darunter leiden, leiden häufig zusätzlich unter den Ängsten und Ausgrenzungen in ihrer Umgebung.
Ich habe gelesen, dass in Japan der Begriff Schizophrenie nicht mehr verwendet wird und durch den Begriff Integrationsstörung ersetzt wurde.
Was hilft, was schützt? Medikamente, die sorgfältig in ihrer Wirkung und in ihren Nebenwirkungen beobachtet werden müssen, gehören sicher meist dazu. Die Erkrankten werden sie allerdings absetzen, wenn die Nebenwirkungen extrem belasten. Wen wollte das wundern?
Wenn Dir in der U-Bahn demnächst jemand mit unkontrollierten Beinbewegungen gegenüber sitzt oder mit seltsamen Gesichtsverrenkungen: Denk mal, es kann alles Mögliche die Ursache sein. Nimm mal an, die Person leidet darunter, dass sie nichts dagegen tun kann und Du sie dabei beobachtest. Starre nicht, aber wechsle auch nicht gleich den Platz! Vielleicht ist es jemand, der seine innere Spannung im Moment nur mit Medikamenten dämpfen kann, mit Medikamenten, die Nebenwirkungen wie Zuckungen auslösen, hier ist jemand, der bereit ist, sich in der Öffentlichkeit zum Gespött zu machen, damit die Erkrankung ihn nicht überrollt. Spotte nicht mit.
Die Prognose ist weniger ungünstig, als allgemein angenommen wird. Gut ist es, wenn an den Fähigkeiten des Erkrankten angeknüpft wird. Auch eine an Schizophrenie erkrankte Person ist mehr als ihre Erkrankung! Sie kann lernen. Sie kann lernen, ihre inneren Prozesse mit einem gewissen Abstand zu betrachten und neue Bewertungen einüben. Psychosoziale Betreuung und Gespräche helfen bei der Realitätsprüfung.
Nicht über ihn reden, sondern mit ihm, ihn seine eigenen Wege im Umgang mit der Erkrankung finden lassen, bereit stehen, aber nicht gängeln, gemeinsam Pläne entwickeln, die Halt und Orientierung geben, all das, in Achtung und Respekt, kann helfen.
Was hat das mit dem Bild in den Filmen zu tun, wo Unberechenbarkeit, Gefährdung der Umwelt, manchmal schlaue Hinterlist im Verbergen der Krankheit im Vordergrund stehen? Nix. Punkt.
Eine gute Woche!
Für Interessierte: Hier finden Sie Materialien für Metakognitives Training (MKT) für Psychose: https:// clinical-neuropsychology.de/metakognitives_training_psychose/ (Leerzeichen entfernen, dann funktioniert der Link!)