Erinnerungen

Ich höre im Alltag häufiger, dass Menschen an etwas aus ihrem Leben nicht mehr denken wollen. Eine Erinnerung an bestimmte Lebensabschnitte erscheint ihnen lästig, schmerzhaft oder verwirrend, und diese Empfindungen möchten sie nicht haben.

Dann werden Ausdrücke gebraucht wie:

Da soll der Deckel darauf bleiben.

Den Sack mach ich nicht mehr auf.

Das habe ich abgelegt. Das interessiert mich nicht mehr.

Die Tür dazu soll zu sein.

Das muss doch mal vorbei sein!

Das war damals heute ist heute, Schluss damit!

Und dann erlebe ich Menschen mit Demenz, die immer mehr Erinnerungen tatsächlich nicht mehr finden und damit unglücklich sind. Nicht bei allen ist es so, wir Menschen sind auch in der Demenz verschieden, ich weiß, aber ich denke an diejenigen, die ich kenne. Mit jedem Zugang zum Gewesenen, der verschüttet ist, scheint eine Möglichkeit des Selbsterlebens verloren zu sein. Das Heute kann nicht mehr mit dem Gestern verbunden werden und eine Aura von Einsamkeit ist um diese Menschen.

Ich gebe zu, dass ich beunruhigt bin, wenn ich es mitansehe. Ich möchte dann gerne helfen, an Erinnerungen wieder anzuknüpfen, mit Bildern, mit Gegenständen, mit Musik, wenn Sprache schon kaum noch genutzt werden kann. Gemeinsam mit dem Menschen, der langsam in andere Welten geht, ist es nötig, zu akzeptieren, dass es so ist.

In den Stunden, in denen Menschen zu mir kommen, weil sie psychotherapeutische Hilfe suchen, ist es in der Regel so, dass diese gern auch (!) mit ihren Erinnerungen arbeiten. Klient*innen suchen danach, wenn sie Zugänge zu Bildern und Szenen aus der Kindheit verloren haben. Manchmal sind nur Körpergefühle kurz präsent, die unverbunden mit Konkretem oder Fassbarem bleiben. Klient*innen begrüßen Erinnerungen an konkrete Szenen und wirken erleichtert, wenn eine wieder auftaucht – selbst dann, wenn sie schmerzhaft erlebt wurde.

Ich arbeite nicht tiefenpsychologisch, aber Erinnerungen spielen in meiner Arbeit immer wieder mit, denn sie sind ein Teil von uns, wir haben sie immer dabei.

Erinnerungen werden wach, so ist ein gängiger Ausdruck. Das heißt, sie ruhten oder schliefen, vielleicht ganz tief und fest, könnten wie im Koma gewesen sein, aber weg waren sie nie.

In der kognitiven Therapie suchen wir nach den Vorerfahrungen und erlernten Bewertungen, die in einer konflikthaft erlebten Erfahrung im Heute eine Rolle spielen. Dann geht es darum, neue Bewertungen zu entwickeln und diejenigen Verknüpfungen in unserem Gedankengebäude voneinander zu lösen, mit denen wir uns selbst schädigen.

Kommen Erinnerungen während der körperpsychotherapeutischen Arbeit an die Oberfläche, werden wir feststellen, dass mit ihrer Wahrnehmung und Würdigung – und auch hier mit der Entwicklung und Entscheidung für eine neue Sichtweise – sich im Körper Schmerzhaftes lösen kann und in der Psyche auch.

Im hypnosystemischen Setting arbeiten wir unter anderem damit, Bögen zu spannen zu einem gewünschten Erleben. Niemand kann rückwärtsgewandt Schmerzhaftes ändern. Schlimme Erlebnisse und Verwundungen tun weh, wenn wir sie ungeschützt nach oben holen. Deshalb möchten einige Menschen nicht daran rühren. Ein interessantes Bild: Eine Schüssel mir Brei wird gerührt, alles wird noch feiner verteilt. Bei Schmerzhaftem: Wer könnte das wollen?

Wir rühren nicht bei meiner Arbeit, wir schauen uns an, was da ist, spüren hin, greifen auf, lauschen auf Widerhall – lassen unsere inneren Möglichkeiten arbeiten: Wie kann ich mir heute helfen, dem Gewesenen Heilung zuzuführen?

Wie kann ich mit Elementen des mir heute Möglichen die Erinnerungen heilsam bearbeiten?

Dabei ist es wichtig, dies nicht ungeschützt zu unternehmen. So wird es immer zuvor nötig sein, sich der eigenen Schutzmöglichkeiten zu versichern. Dies können Bilder oder Filme eines sicheren inneren Ortes sein, die Vorstellung eines unzerstörbaren inneren Kerns oder auch ein Selbstbild, das uns mit allen Stärken und Ressourcen sinnlich präsent ist.

Dann können wir auch beginnen zu würdigen, dass zu der zunächst verschüttet erscheinenden Erinnerung ein Schutz vor möglicher innerer Bedrohung aufgebaut wurde. Dieser Schutz war einmal nötig. Eine Prüfung kann erfolgen, ob er es immer noch ist. Es wird möglich, neue Zugänge zu finden aus den heutigen Verfasstheiten heraus.

Nach meiner bisherigen Erfahrung ist das neu Aufgefundene dann oftmals weniger stark in seiner Bedrohung, als die Angst davor uns vormachte, wenn auch, um uns zu schützen. Es wird erleichtert wahrgenommen, dass wir heute stärker sind als wir es waren, zu den Zeiten des Wegräumens in die hinteren Zimmer unseres Gedächtnisses.

Schmerzhafte und erschreckende Erlebnisse, die zu Zeiten stattfanden, als in der Kindheit die Möglichkeiten um darüber zu sprechen noch nicht ausgebildet waren, als Fragen und Verstehen noch nicht zur Verfügung standen, können spätere Denkblockaden verursachen. Die Kindheit kann wie abgeschnitten erscheinen. Dann ist es oftmals hilfreich, aus dem heutigen Erwachsenenleben die Vorstellung dieses kleinen Kindes zuzulassen. Es kann ein kindhafter Zustand körperlich nachempfunden, pantomimisch dargestellt werden, es können Bilder aus der Kindheit gemalt werden, es kann in einer leichten begleiteten Trance langsam zurückgegangen werden – manchmal stellt sich eine Tür als leicht zu öffnend heraus, die Tränen fließen. Dann kann der erwachsene Mensch tröstende und verstehende Worte finden, Gesten der Zuneigung für dieses Kind.

Manchmal will die Wand keinen Durchgang freimachen. Dann werden wir die Wand würdigend betrachten, mit ihr in Kontakt treten, sie ist ein Teil von uns und hat ihre Funktion, die erkannt werden kann.

Wie rasch die Prozesse voranschreiten, welche Schleifen und als Umweg erscheinende Wege die Arbeit nimmt, ist verschieden, es dauert, so lange es dauert.

Ich verstehe mich als Begleitung und bin auch dabei, wenn jemand sagt: Stopp, hier gehe ich jetzt und hier nicht weiter! Allerdings ermutige ich dazu, Sätze die “für immer” oder „niemals“ in diesem Zusammenhang enthalten, zu verändern. “Auch wenn ich jetzt auf keinen Fall diese Erinnerung zulassen möchte und mich entscheide, woanders hinzuschauen, brauche ich keine Entscheidung für alle Zukunft, um mich zu schützen.” So zum Beispiel.

Eine gute Woche!