Körpergedächtnis

Die Spuren unserer Erinnerung im Körper

Peter A. Levine ist heute wieder einmal die Quelle meiner Zeilen. Es geht um Trauma und Gedächtnis. Automatische Reaktionen, wie aus dem Nichts, spontan erlebte Empfindungen, etwa Angst, Scham oder Wut, die scheinbar ohne Anlass auftauchen, werden in der Regel als sehr beunruhigend erlebt. Nicht nur die Bilder und Szenen, die im visuellen Gedächtnis gespeichert sind, sondern auch jegliche abgespeicherte Körperreaktion, wie Erstarrung oder Anspannung, werden aktuell abgerufen, wenn ein äußerer Reiz diese „antriggert“.
Dabei kann dieser Reiz so unscheinbar sein, ein kurz vorbei wehender Geruch, ein Räuspern aus den Kino-Sitzen im Rücken, ein bestimmter Zug um den Mund einer fremden Person – so unscheinbar und vorübergehend, dass er nicht bewusst wahrgenommen wird.
Aber auch wenn der Reiz wahrgenommen wird, ist der Zusammenhang zur eigenen Reaktion nicht immer verstehbar. Es ist nicht unbedingt möglich, sich an die ursprüngliche Situation zu erinnern, die einmal als gefährdend, bedrohlich oder belastend erlebt wurde.

Ein Kind schreit und die Mutter bekommt einen Wutanfall – sie erschrickt über ihr eigenen Reaktionen, sie hat keine Erklärung dafür und ist mit sich selbst im Nachhinein ärgerlich oder fühlt sich niedergeschlagen.
Eine Besprechung der Situation hilft ihr nur unzureichend. Sie erinnert sich nicht, aus welchem Erleben ihr Verhalten rühren könnte. Es ist tief im Gedächtnis vergraben, „vergessen“. Sie leidet darunter, dass sie keinen Zugang findet.
Wenn dieser Zugang über Gespräche und durch die Erforschung der Gedanken nicht gefunden werden kann, dann kann es weiterführen, die Reaktionen des Körpers wahrzunehmen, zu verstärken und in die „Sprache“ des Körpers einzutauchen. Gezielte körperliche Aktivität kann helfen, die erlebte Hilflosigkeit zu überwinden und wieder sicher und geborgen im eigenen Körper zu empfinden.
Emotionen und Gedanken haben immer auch einen körperlichen Ausdruck. Ursprüngliche Körperempfindungen zwischen Schmerz und Lust haben ihre Verortung im Stammhirn, nicht in der Großhirnrinde. Bei frühen Verletzungen ist Heilung oft nicht im Verständnis oder gutem Rat zu finden. Versuche der Umwelt, zu beruhigen oder zu ermutigen, können zu weiterer Frustration führen: Der Mensch, der frühe Belastungen erlebt hat, bewertet sich negativ, er kann die Ratschläge nicht annehmen, die Vorschläge nicht umsetzen.

Die achtsame Selbstbeobachtung des Körpers kann allerdings zum inneren Zusammenbruch führen, es kann zur Empfindung des Überschwemmtseins kommen, zu erneuter Abwehr und Erstarrung. Peter A. Levine hat im Wissen darüber den Zugang über das „Pendeln“ entwickelt. Sich dem unangenehmen Erleben auszusetzen soll stets nur kurz, bewältigbar geschehen und abgewechselt werden mit dem Erleben von Sicherheit.
Innere Stärke soll also als Ressource erlebt werden können, bevor die großen Herausforderungen im Wahrnehmen des inneren Erlebens angegangen werden. Zwischen Belastungs- und Ressourcenerleben zu pendeln integriert, wenn dem Pendeln Zeit und Raum gegeben wird, die belastende Erfahrung.
Gelingt es, erlebt sich der Mensch als jemand, der das Ruder wieder in der Hand hat. Dies unterscheidet sich von dem Selbst-Erleben, das aus dem Versuch, wegzudrängen und zu verharmlosen resultiert. Unter der Decke halten von Anspannung, Trauer, Wut und Scham kostet viel Kraft und Lebensenergie. Wie aber kann es gelingen, diese Lebensenergie wieder positiv und freudig für sich zu nutzen?

Levine erzählt, wie er einmal eine Erinnerung des Körpers wiederfand, es war beim Betreten eines Gebäudes, als ihm wieder einfiel, wie er bedrohlichen Mobbing-Situationen als Kind ein Ende setzte. Er hatte seine Angreifer mit wilden, weitgreifenden Armbewegungen in die Flucht geschlagen. Es fiel ihm wieder ein, wie damals in der neuen Schulklasse alles zusammenhing, wo er Unterstützung und wie er zu Selbstvertrauen fand.

Wenn in Gedanken oder im Gespräch über etwas Positives, Freudvolles Ihr Körper seinen Ausdruck dafür findet, vielleicht in einem leichten Lächeln, in einem aufgerichteten Oberkörper, einem geweiteten Brustkorb, einer Bewegung, dann haben Sie eine Ihrer Ressourcen gefunden! Mit dem bewussten Wahrnehmen dieses stärkenden Teils Ihres Körpergedächtnisses finden Sie möglicherweise weitere Verknüpfungen mit Episoden aus Ihrem Leben, in denen Ihnen etwas gut gelungen ist. Verstärken Sie einmal die so verknüpfte Körperreaktion, wo es möglich ist!
Ich stehe gleich auf und hüpfe mit beiden Beinen im Flur herum! Ich habe da eine Erinnerung, sie fiel mir ein, als ich hier schrieb…
Haben Sie Lust dazu, dergleichen einmal auszuprobieren?

Eine gute Woche!