Häusliche Gewalt und Vertrauen

Vertraut sich eine von häuslicher Gewalt betroffene Person einer Therapeutin an, so hofft sie, auf Verschwiegenheit vertrauen zu können. Das Sich-Getrauen, darüber zu sprechen, was ihr widerfahren ist, braucht eine Basis.
Betroffene schämen sich nicht selten, dass ihnen Gewalt angetan wurde. So, als hätten sie dazu eingeladen, so mit ihnen umzugehen, so, als hätten sie es womöglich nicht anders verdient, weil mit ihnen etwas nicht in Ordnung sei, so, als werfe es ein schlechtes Licht auf sie, dass sie sich nicht besser erwehren.

Also wird sich die Therapeutin darüber Rechenschaft ablegen müssen, wie sie zu solchen Fragen steht, wenn sie dem Vertrauen der Hilfesuchenden eine Chance geben will.
Sie wird sich fragen müssen, ob sie insgeheim denkt, es gebe eine Art Mitschuld auf Seiten der Hilfesuchenden. Ob sie stattdessen in der Lage ist, dem Gedanken Raum zu geben, dass Gewalt etwas sei, das prinzipiell jeder Person angetan werden kann. Zumal dann, wenn sie sich in unvorhersehbaren Situationen befindet und auf jemanden trifft, der sich genau von ihr dazu gereizt glaubt, zuschlagen zu sollen oder Freiheit zu berauben. Oder auf jemanden, der daran gewöhnt ist, seine inneren Spannungen gewaltvoll nach außen zu bringen.

Fragen wir uns: Sind wir nie schwach oder dumm oder zu gutgläubig gewesen im Leben? Sind das nicht Seiten, die zum Menschsein nun einmal auch dazu gehören? Oder haben wir noch nie jemanden mit unserer Art gereizt oder geärgert? Hat dies ihm etwa eine Rechtfertigung gegeben, zuzuschlagen, anzuschreien, einzusperren oder irgendwie sonst zu schädigen? Waren wir nicht schon einmal in den Augen eines anderen Menschen eine Zumutung, nur einen Augenblick lang vielleicht, weil wir geradeheraus und offensiv gehandelt haben, wo dieser es nicht mochte? Und kennen wir es nicht alle, auch einmal kraft- und machtlos zu sein?

Die Reflexion hierüber wird uns helfen, mit offenen Ohren und solidarischem Denken für Hilfesuchende dazusein.

Die ebenso wichtige Basis für Vertrauen ist unsere Verschwiegenheit. Es rechtfertigt die Suche nach Hilfe nicht, dass wir direkt eingreifen. Die Selbstoffenbarung nicht, dass wir Entscheidungen erzwingen. Nein, wir werden nicht selbst zur Täterin werden und über andere bestimmen! Auch hier werden wir genau zu verstehen suchen, was unser Auftrag sein soll! Wir dürfen ihn ablehnen, wenn es uns zu schwer wird, ihn zu übernehmen, wie in jedem anderen Fall. Wir werden uns bemühen, die Hilfesuchenden dann an geeignete Personen oder Institutionen zu verweisen. Wenn wir den Auftrag aber annehmen, und darin keinesfalls enthalten ist, außerhalb unserer therapeutischen Tätigkeit für die Klientin tätig zu werden, dann werden wir uns daran halten und alle Entscheidung über ihre Lebensführung bei der Klientin belassen!

Ausnahmen: Eine sorgfältige Befragung ergibt, dass die Gefährdungslage zu eskalieren droht, dass Kindeswohl auf dem Spiel steht, ein Suizid oder Mord allem Anschein nach unmittelbar und unabwendbar bevorzustehen scheint, schwere Straftaten angekündigt werden – und alle Überzeugungsversuche scheitern – (§ 34 StGB, rechtfertigender Notstand. Es hat demnach genau abgewogen zu werden, ob der Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht deutlich weniger wiegt als die unmittelbar drohende und anders nicht abzuwendende Gefahr.) dann können wir offen und begründet Unterstützung außerhalb suchen, bei unmittelbarer Gefahrenlage auch bei der Polizei!
Es sollte allerdings zuvor genauestens geprüft werden, ob und in welcher Weise die Informationsweitergabe wirklich hilft. Wenn wir mit der Bewertung und Entscheidung Probleme haben, können wir uns auf der Grundlage von anonymisierten Informationen an Beratungsstellen wenden!

Da ein solches Dilemma in der Praxis entstehen kann, gilt: Ehrlichkeit und Transparenz für die Grenzen der Vertraulichkeit von Beginn an, ausdrücklich benannt. Benannt auch die voraussichtlichen Folgen einer Informationsweitergabe. Die Hilfesuchenden haben ein Recht zu erfahren, mit wem, in welcher Weise und in welchem Fall Informationen ausgetauscht werden. Das belässt die Kontrolle darüber, wie viel sie wem erzählen und welches Vertrauen sie professionellen Kräften entgegenbringen, ausdrücklich bei den Hilfesuchenden. Wir Therapeutinnen sollten damit leben können, dass wir nicht immer alles erfahren, dass jeder Mensch sein eigenes Universum bleibt.
Manches erfahren wir nie. Manche Offenbarung geschieht nach etlicher Zeit, spät, aber eben doch. Nicht selten ist dies dann der Wendepunkt, der Punkt, an dem Veränderung für alle Beteiligten erfahrbar wird.

Wenn Sie von Gewalthandlungen betroffen sind, wenn Du es bist: Scheue Dich nicht, Deinen Beraterin, Deine Therapeutin oder Deinen Therapeuten auf all das anzusprechen! Macht einiges auch schriftlich aus! Wem Gewalt angetan wurde, hat an Würde und Selbstbestimmung nichts, gar nichts eingebüßt!

Eine hoffnungsvolle Woche!