Meine Mittellinie finden, präsent sein

“Meine Mitte finden”, dazu habe ich lange keinen konkreten Zugang finden können, ich hatte kein für mich stimmiges Bild, wo im Körper die sein könnte. Anders ergeht es mir mir der Vorstellung meiner “Mittellinie”. Diese spüre ich ganz deutlich, wenn ich sie während einer Gleichgewichtsübung benötige. Kann ich sie nicht finden, habe ich keinen sicheren Stand, fühle mich nicht ausreichend mit dem Erdboden verbunden, wackele.

In der Selbstverteidigung begegnet mir ebenfalls die Aufgabe, meine Mittellinie zu finden: Sie zu spüren, ihrer bewusst zu sein, ist bei einigen Übungen eine notwendige Voraussetzung für Standfestigkeit, ist bei vielen Körperhaltungen für den bestmöglichen Schutz grundlegend, ebenso bei der jeweils besten Verteidigungsposition und Abwehrhaltung, ergibt eine klare Außenwirkung: “Stopp!”
Soweit das Thema im Falle des Angegriffen-Werdens.

In Feldenkrais-Kursen lernte ich, ein verbessertes Gespür für meine Körperhaltung zu entwickeln, wobei es auch um innere Haltung ging. Feldenkrais ist nicht nur ein Körpertrainig, um zum Besispiel Schmerzen zu lindern, es geht weit darüber hinaus. Es schult die Selbstbeobachtung mit dem Ziel, die Lebensumstände zu verbessern: Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Bewegen sind laut Moshe Feldenkrais miteinander vernetzt, Bewegung sei Ausdruck der ganzen Person. In den Übungen möge spielerisch experimentiert werden, jede Übung nur so intensiv, wie es angenehm ist. So findet die / der Übende den stimmigen individuellen Körperausdruck, der sich richtig anfühlt und der sich anderen mitteilen kann.

Hierzu eine Mittellinienübung:
Sich locker hinstellen, die Beine leicht auseinander stellen. Mit beiden gestreckten Armen und Händen wird die Mittellinie des Körpers beschrieben, indem ein Arm nach unten zeigt, einer nach oben. Mit der inneren Orientierung an Nase, Brustbein und Bauchnabel, entlang den Körperseiten, werden die Arme nun gegenläufig nach oben und unten geführt, langsam und locker, bei gleichzeitig deutlicher Streckung in den Armen. Die Augen verfolgen die Bewegungen, bis hinauf zu den Fingerspitzen und wieder hinab. Mal mehr den Focus auf die Aufwärtsbewegung, mal mehr auf die Abwärtsbewegung lenken, beide Arme gleichermaßen beobachten, die Mittellinie spüren.

Eine weitere Übung, diese fernöstlich inspiriert: Wenn der Stand sich gut anfühlt und der Boden unter den Füßen gespürt wird, dem Atem auf seinem Weg folgen.
Dann kurz den Scheitelpunkt antippen, die Mitte der Stirn berühren, die Nasenspitze, Brustbein, Solarplexus, Nabel, dann etwa zwei Finger breit unterhalb des Nabels. Diesen letzten Bereich mit beiden Händen berühren, den Atem dorthin führen. In der Vorstellung eine Linie im Innern des Körpers vom Scheitelpunkt bis in den unteren Bauchraum ziehen, sich diese mit Farben anreichern, in sich hinein lächeln. In der Vorstellung wandern, hinauf und hinab dieser Linie, bis sie körperlich empfunden wird.
Dann leicht und behutsam um diese Linie herum den Körper drehen, nicht weit, nur ein wenig.
Zur Ruhe kommen. Nach einer Weile bewusst aufrichten und die Übung beenden.

Die folgende Übung entnehme ich – mit einigen eigenen Aktzenten – dem Buch “Somatische Psychotherapie” von Manuela Mischke-Reeds, sie heißt “Um die Mittellinie segeln”. Wir können uns ein Segelboot vorstellen, das um einen Orientierungsstab im Wasser herum kreuzt, vielleicht eine Fahrrinnenmarkierung. Wir müssen nicht wissen, wie man kreuzt, unser Boot kann dies ganz mühelos ohne unser Zutun. Wir stellen uns die gleitenden Kreis-Bögen um den Orientierungsstab im Wasser herum einfach vor.
Nun kann es sein, dass unser Boot doch einmal vom Kurs abkommt, vielleicht eine überraschende Windböe, eine stärkere Welle. Nun braucht es unsere Hilfe.

Dazu stehen wir wieder locker und gut mit dem Boden verbunden, die Füße nebeneinander, nur leicht voneinander entfernt, schließen die Augen und lassen vor unserem inneren Auge diesmal eine Linie vom Scheitelpunkt bis hinunter zu den Füßen entstehen.
Nun stellen wir uns vor, “vom Kurs abgekommen zu sein”. Wir sagen es laut: “Ich bin vom Kurs abgekommen!” Wir achten darauf, wo und in welcher Weise wir das im Körper spüren. Wir haben möglicherweise eine Idee, wodurch wir vom Kur abgekommen sind. Auch das sprechen wir laut aus: “Ich bin vom Kurs abgekommen, weil…” Wenn da nichts auftaucht, macht das nichts.
Nun zentrieren wir uns neu:
Mit dem rechten Arm oder dem linken zuerst, das ist nicht wichtig, drehen wir einen vor uns ausgestreckten Arm so, dass die Handfläche zum anderen Arm zeigt. Ausatmend überqueren wir unsere Mittellinie in Richtung des anderen Arms, soweit, wie es sich gut anfühlt. Zurück in der Ausgangsposition lassen wir den Arm sinken und wiederholen die Übung mit dem anderen Arm. Wir achten auf das Ausatmen beim Überqueren der Mittellinie.
Wiederholend spüren wir Veränderungen, mit jeder Wiederholung mag etwas neu zu spüren sein. Bin ich fokussierter? Stehe ich sicherer? Das sprechen wir nun auch laut aus, wenn es geschieht. “Ich stehe sicher.”
Nach einer Weile gehen wir zu unserem inneren Bild des Segelbootes. Wir beobachten, wie es ruhig und gleichmäßig seinem Kurs folgt.

Erlauben Sie sich, erlaube Dir alle inneren Bilder, die kommen mögen! Versuche nicht, etwas zu erzwingen!

Eine zentrierte Woche!