Im Mai 2016 war Stephen Porges im Rahmen des Kongresses “Reden reicht nicht!?” in Heidelberg und leitete den Workshop “Verbundenheit als biologische Notwendigkeit”, in dem er seine Ergebnisse zum Thema “Polyvagal-Theory” vorstellte.
Anhand seines Vortrags will ich einige Gedanken teilen, die in Bezug zur Corona-Phase stehen. Ich finde ihn und seine Art vorzutragen sehr sympathisch – das erleichtert mir das Mitdenken.
Als erstes sprach er darüber, dass Säugetiere nicht überlebt haben in der Entwicklung des Tierreichs, weil sie etwa die fittesten in Hinblick auf Stärke gewesen wären, sondern sie überlebten, weil sie gelernt haben, miteinander zu kooperieren. Was für ein Einstieg! Überleben zu können, bedeute also, gegenseitige Hilfe und Kooperation zu entwickeln.
Er zeigte Bilder, zum Beispiel von fürsorglichen Robben, und schaute sein Publikum an, dabei achtete er auf die Gesichter der Schauenden. Er sagte, man könne sehen, ob jemand in Resonanz mit dem Bildinhalt gehe. Er sagte, dass es der obere Teil des Gesichtes sei, um die Augen herum, der den Kommunikationspartnern signalisiert: Hey, bei mir ist Sicherheit! Du kannst ruhig sein, ohne Angst! Du kannst Dich erholen.
Schauen wir jemanden in einer bestimmten Weise an, und reagiert unser Gegenüber entsprechend darauf, gehen wir in Ko-Regulation, das heißt, wir geben uns gegenseitig Ruhe und Geborgenheit. Dies geschieht außerhalb von Bewusstsein, Hinweisreize lösen es aus.
Und weiter: Sicherheit sei nicht die Abwesenheit von Bedrohung, Sicherheit entstünde durch Verbundenheit. Dadurch könne unser autonomes Nervensystem in die Lage versetzt werden, sich zu entspannen.
Soziale Interaktion und das Erleben von Verbundenheit sei folglich ein körperliches Verlangen.
Daraus möchte ich in der derzeitigen Situation den Schluss ziehen, dass es, wo und wie immer möglich, zu Kontakten kommen sollte, die über das Lesen und Schreiben von digitalen Nachrichten hinaus gehen! Unter Beachtung der Abstandsregeln, versteht sich.
Handschrift wäre dann besser als Maschinenschrift, die Stimme am Telefon zu hören schon gut, per Video zu kommunizieren schon besser, der Plausch über die Straßenseiten hinweg, in Abstand aber in Sicht- und Hörweite, schon richtig gut!
Oxytocin, das Bindungshormon, wird in Kontakt ausgeschüttet, wir brauchen Kontakt und sollten erfinderisch sein, unseren grundlegenden sozialen Bedürfnissen Raum zu geben, wenn wir so gesund wie möglich bleiben wollen:
Sicherheit, Nähe, Kontakt, soziale Bindung! Auch in der Corona-Pandemie ist das alles herstellbar, es kommt auf unsere innere Haltung an, auf unsere Bereitschaft und unseren Erfindungsreichtum. Das Öffnen von Einrichtungen oder Läden ist es nicht, wir sind es selbst, die Kontakt herstellen können!
Ich beobachte, wie das Winken von Tür zu Tür oder der kurze Schnack an der Straßenecke bei allem gebotenen Abstand den ganzen Körper entspannen kann.
Ich beobachte, wie ein Mensch mit Mund-Nasenmaske allein über seine Augenpartie unglaublich viel Zuwendung, Interesse und Freundlichkeit geben kann.
Auge in Auge zeigen wir Aufmerksamkeit, geben Beruhigung, teilen unser eigenes Wohlbefinden und geben dem Gegenüber die Möglichkeit, sich mit uns wohl zu fühlen.
Wir kennen das Empfinden, wenn wir jemanden erleben, der nur mit den Mundwinkeln lächelt, Verbundenheit ist es nicht.
Wir erinnern uns an die “Kommunikation” von Gruppen, schon lange nicht mehr nur bei Jugendlichen: Alle hocken zusammen und gucken auf ihr Handy. Das war vor Corona! Das war und ist unterbrochene Ko-Regulation, schon lange im Alltag vieler von uns üblich.
Mal stehen bleiben, in die eigene Ruhe kommen, sich freundlich anschauen, sich dafür die Zeit nehmen, das alles ist möglich, auch in diesen Zeiten!
Natürlich fehlt vielen die Umarmung mit Freunden oder Familienangehörigen. Die Chance, die ich dennoch sehe, ist, wieder zu spüren, was genau fehlt, wann genau, mit wem genau – nicht die seelenlosen Berührungen sind es, die fehlen, es ist die echte Zuwendung und die Aufmerksamkeit füreinander. Es ist gut, wieder zu spüren, dass manchmal Berührung passt und manchmal nicht.
Das Empfinden von Mangel kann es möglich machen, dem eigenen Bedürfnis wieder näher zu kommen, wieder zu wissen, wonach wir suchen wollen, wenn diese Zeit des Abstands vorbei sein wird.
Wer allein lebt, sollte sich selbst viel körperliche Zuwendung geben, eincremen der Haut und massieren, kneten, der Muskeln. Das ist kein Ersatz von körperlichem Kontakt, aber eine gute Handlung der Selbstfürsorge!
Aufrecht zu stehen, sich zu recken, zu strecken, tief zu atmen auch!
Wollen wir gerade mal gemeinsam tief ein- und genussvoll ausatmen? ….
Gerade wurde unser Vagus-Nerv angesprochen, und zwar der ventrale Vagus, der Teil, der bei guter Regulation aktiv ist. Nochmal? … …
Finden wir Wege zur Verbundenheit, auch und womöglich gerade in diesen Zeiten!
Fortsetzung folgt! Es wird um unsere Stimme gehen!
Eine gute Woche!