Warum Reden oft nicht reicht

Manchmal sagt ein Mensch, er spüre, sie spüre sich nicht. Damit kann der Körper gemeint sein, der vielleicht höchstens im Schmerz noch wahrgenommen wird. Damit kann gemeint sein, dass auch manche Gefühle der Psyche nicht gespürt werden können, der eigene emotionale Zustand, wie abgespalten, nicht wahrgenommen, nicht beschrieben werden kann.

Dies kann das Resultat einer belastenden Situation, zum Beispiel eines schweren Unfalls, entweder als Beobachter*in oder als beteiligter Person, sein.

Darüber zu sprechen allein führt dann oft nicht weiter.

Beobachtungen dessen, was im Gehirn geschieht, mittels einer Magnetresonanztomographie (MRT), zeigten, dass allein die Vorstellung eines schweren Unfalls zu einer geringeren Aktivität der Vorderhirnbereiche und es Sprachzentrums führt. Hingegen waren die alten Hirnstrukturen, gewöhnlich Reptiliengehirn genannt, die für „sich gut oder sich schlecht fühlen“ zuständig sind, sehr aktiv.

Das Resultat ist dann, das derjenige, der etwas Schreckliches erlebt hat, nicht gut analysieren und bewerten kann, was er erlebt hat und auch nicht zufriedenstellend in Sprache fassen, wie es ihm geht. Der Körper drückt den Schrecken aus, er sitzt ihm buchstäblich in den Knochen.

Wie könnte es ihm da weiter helfen, ausschließlich zum Gespräch einzuladen?

Wenn die Belastung nicht aus einer einmaligen Situation heraus entstanden ist, sondern aus einer problematischen frühen Kindheit, ist der Zusammenhang oft noch dramatischer. Denn das Kind, das keine sichere Bindung aufbauen konnte, hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Sprache in seinem Gehirn ausgebildet, mit der dies alles reflektiert und berichtet werden könnte.

Es muss eine problematische Kindheitserfahrung nicht zwingend in psychische Beeinträchtigungen münden. Wenn es aber so ist, sind diese mit Gesprächen allein nicht zu heilen. Diese Erkenntnis verdankt die psychotherapeutische Welt unter anderem Peter A. Levine, dem amerikanischen Biophysiker, Psychologen und körperorientierten Trauma-Therapeuten, auf den sich zahlreiche Trauma-Therapeuten beziehen.

Es wird bei abgespaltenen Gefühlen nötig sein, zusätzlich zur Sprache weitere Zugangswege zu finden. Diese haben zum Ziel, dem leidenden Menschen das Nachlernen von Selbstwahrnehmung und Selbstregulation zu ermöglichen.

Die Wahrnehmung des eigenen Körpers ist notwendig, um einen verschütteten Zugang zu den eigenen Gefühlen freizulegen. Wenn wir den Kloß im Hals nicht spüren, die Schmetterlinge im Bauch ebenso nicht – dann fehlt dem analysierenden Gehirn eine grundlegende Information, es kommt nicht weiter. Die körperlichen Begleiterscheinungen von Emotionen sind zwar nicht trennscharf bei der Bewertung der Gefühle, aber ohne sie stecken wir fest.

Levine nennt das sogenannte Reptiliengehirn deshalb auch „body brain“, Körpergehirn, weil es über den Körper (wieder) zum Kontakt zwischen Empfindung und Bewertung, und damit zur Veränderung kommen kann. Das Erlernen der Selbstregulation, und im Zuge dessen das Erreichen größerer Freiheitsgrade, ist ohne die Wahrnehmung des Körper-Ichs nicht möglich.

Diesen Gedankengängen Levines und anderer Wissenschaftler stimme ich zu und folge ihnen in meiner Arbeit.

Eine der Übungen Peter A. Levines will ich heute vorstellen, und zwar, weil es mir so wichtig erscheint, eine Übung zu den Grenzen. Viele Menschen haben Schwierigkeiten, ihre Grenzen zu spüren und dann auch zu verteidigen, nicht nur Menschen, die traumatisiert wurden. Ich wähle heute die Anrede „Du“.

  1. Durchwandere Deinen Körper, gib Dir Zeit dafür, bewerte nichts. Beginne an Deinem Scheitel, durchwandere Deinen Körper von oben nach unten.
    Durchwandere den Kopf, den Hals, die Schultern, die Arme, den Rumpf mit der Vorderseite, der Rückseite, den Flanken. Gibt es Unterschiede zum Rumpfbereich, wenn Du Dein Becken erreicht hast? Nichts ist hier richtig oder falsch, nimm einfach wahr, was ist! Was bemerkst Du? Gehe weiter bis zu den Füßen.
  2. Nun klopfe mit einer Hand die andere Hand locker ab und sage im Geiste: „Das ist meine Hand, ihre Innenseite, ihre obere Seite“, gehe weiter zum Unterarm und verfahre ebenso. Gehe weiter in der gleichen Weise zum Oberarm, zur Schulter.
  3. Halte inne, gibt es einen Unterschied zwischen den beiden Amen?
  4. Nun klopfe ebenso die andere Hand, den anderen Arm bis zur Schulter hinauf leicht ab, sprich im Geiste stets mit: „Das ist mein/e….“
  5. Ruhe kurz aus.
  6. Gehe zu Deinen Oberschenkeln und klopfe mit beiden Händen beide Oberschenkel ab, besonders an den Außenseiten. Sprich dazu. „Das sind…“ Was bemerkst Du? Alles ist einfach so, wie es ist.
  7. Drücke, wenn Du noch weiter machen möchtest, die Muskeln beider Oberarme, fest mit beiden Händen und sage dazu: „Hier sind meine Grenzen“. Mache das mit allen Muskeln, die Dir gerade dazu einfallen. Gib Dir Zeit dafür!

Du kannst ausprobieren wie es ist, wenn Du, statt abzuklopfen, unter der Dusche den Wasserstrahl über Deinen Körper wandern lässt „Das ist meine Hand, ihre Innenseite…“

Mach aus dieser Übung eine angenehme Aufgabe, lass Dich von Deinem Körper leiten.

Levine nennt das, das Körper-Ego zu stärken.

Eine starke Woche wünsche ich allen!