Wie wir reagieren

In dieser seltsamen Zeit der Umbrüche, die durch die neuartige Erkrankung, ihre Verbreitung, die Informationen, die Spekulationen, die politischen Entscheidungen und ihre Veränderlichkeit gekennzeichnet ist, können wir sehr unterschiedlich reagieren.

Unterschiedlich von Person zu Person, von Tag zu Tag, von Situation zu Situation reagieren wir, auch dann, wenn wir womöglich glauben, nicht zu reagieren.

Es gibt die Reaktionsweise der Leugnung. Die Leugnung der eigenen Betroffenheit kann so daher kommen: „Für mich hat sich gar nichts geändert! Ich lebe genauso wie zuvor!“ Ist das so? Ich stelle die Frage, ob es möglich ist, keinerlei Veränderung bei sich zu erleben, wenn sich um eine/n herum so vieles und vor allem so viele verändern.
„Ich war vorher einsam, jetzt bin ich es immer noch!“ Frage: Wenn Du Dich nun gleichzeitig mit so vielen als einsam erlebst, ist das nicht anders, anders als vorher, als Du vielleicht dachtest, Du wärest im Umkreis ganz allein einsam?

„Ich bin gern allein, allein fühle ich mich am wohlsten! Endlich darf ich es sein, ohne mich entschuldigen zu müssen. Ich soll ja jetzt sogar so leben!“ Was wurde anders, als Du bemerktest, Du bist jetzt auf der Straße der allgemeinen Akzeptanz und Erlaubnis unterwegs? Keine Ausnahme mehr?

Oder die Leugnung der Gefahr – „Ich erkranke nicht, mich schützt …“ Für einige ist es Gott, ihr Glaube, ihre Gruppenzugehörigkeit, ihre bisherige Erfahrung: „Mir passiert nichts, weil um mich herum keine Erkrankten sind!“ „… weil ich jung und fit bin.“ „… weil ich nie krank werde.“ Leugnung kann bis hin zu „Die Gefahr existiert nicht!“ gehen oder zu „Es ist eine globale Lüge!“ Das Kleinkind hält sich die Augen zu und meint, es werde nicht gesehen. Wir kennen die Metapher vom Tier, das den Kopf in den Sand steckt. Wird es halt vom Hintern her gefressen.

Die Reaktion kann allerdings auch in Form der Übertreibung eintreten. Dann ist der erste Gedanke bei den Infektionsereignissen in Schlachthöfen der an die mögliche Infektiosität des Fleisches. Alles wird zur persönlichen Gefahr, nichts ist mehr harmlos. Wer so reagiert bringt sich auf eben diese Weise in Gefahr: Das autonome Nervensystem ist ohne Unterlass im Alarm-Modus. Der Blutdruck steigt vielleicht, die Verwundbarkeit für Infektionen nimmt zu. So ist das im Dauer-Stress in der Regel.

Ebenso gesundheitsschädigend ist es, dem Eindruck, von den Ereignissen überrollt zu werden, nichts tun zu können, kein „Stopp!“ und keine Alternative entgegenzusetzen.

Erstarrung, nicht mehr handlungsfähig sein, oder aber permanent zur Flucht oder zum Kampf bereit zu sein – all das macht als Dauerzustand körperlich und seelisch krank.

Was also tun? Sie können, Du kannst eine der kostenfreien Beratungsmöglichkeiten nutzen, Telefonseelsorge, nachbarschaftliche Initiativen, zum Beispiel auf „nebenan.de.“ Du kannst, Sie können Beratung und Hilfe bei Psychotherapeut*innen finden, selbst finanziert oder über die Krankenkasse, einige Berufe auch über die Berufsgenossenschaft – dort fragen bitte! Online zu beraten und zu unterstützen ist den Berufsgruppen jetzt auch schon im Erstgespräch gestattet!

Mit anderen Worten: Gehen Sie, geh in Kontakt, suche Verbindung, wenn Du merkst, wenn Sie merken, es wird zuviel für Sie, für Dich!

Und natürlich gibt es kleine Übungen, sich achtsam wahrzunehmen, herauszufinden, dass tatsächlich nicht alles schwarz oder weiß ist, kein entweder oder in der Welt ist: Es ist halt so, in irgendeiner Weise müssen wir uns an die Situation anpassen.

Folgendes schlage ich vor:

Spüre Dich differenziert, es ist ziemlich sicher nicht überall gleich! Wenn Du Dich als belastet erlebst, wo im Körper spürst Du das? Und wo im Körper ist es anders, besser oder wenigstens neutral? Spür dort hin, schau dort hin, und wenn diese Körperstelle/n sprechen könnte/n, höre hin, was wären ihre Worte? Ist es immer so? Gibt es Veränderungen?

Wenn Dich die Medienbilder schrecken – welche waren tröstlich, lass die Erinnerung daran zu, sag nicht „ja aber“. Alles ist geschehen, das Schlimme und das Schöne. Waren es die tanzenden Pflegekräfte auf einer Intensivstation in Italien? Ware es die vielen gemeinsam Musizierenden auf ihren Balkonen? Was noch?

Was in Deinem Leben hat Dir schon geholfen, Dich verbunden zu fühlen? Vielleicht durftest Du wegen einer anderen Infektionserkrankung schon einmal nur wenig Kontakt haben? Was hast Du als Kind gemacht, als es die Masern waren? Was war tröstlich? Findest Du etwas, was dem im Heute ähnlich sein könnte? Was wären die Wünsche, die erfüllt werden können? Wen kannst Du darum bitten?

Wenn Du nicht isoliert und nicht erkrankt bist, jedoch die Gedanken an die Isolierten und Erkrankten schwer aushältst: Was kannst Du für andere tun?

Hast Du unter Spannungen zu leiden, die Du kaum loswirst, von denen Du befürchtest, Du könntest Schaden anrichten? Als erstes: Verzeihe Dir diese Reaktion. Es ist zu erwarten, dass, wenn es zuviel wird, was Du zu bewältigen hast, Du mit angespannten Muskeln, gereizten Nerven, ganz und gar sprungbereit reagierst. Da Du ein Mensch bist, der sich regulieren kann, wenn Du nur weißt, wie: Tu es! Sorge für Deine Regulation! Es kann sein, dass

  • Du ein Stopp an die Mitmenschen senden solltest, ein erkennbares, Halt! „Es wird zuviel, ich brauche eine Pause, einen Rückzugsort, eine überschaubare, geplante Tagesstruktur, die mir dafür Raum lässt!“ Das solltest Du mittteilen, wenn Du Dich schützen möchtest und dabei verstanden werden möchtest.
  • Du Dir Zeit nehmen solltest, zu entscheiden, was Du zu geben gerade bereit und in der Lage bist, und die Zeit, es mitzuteilen. Vergiss nicht, der / dem anderen geht es womöglich genauso! Gib Raum, Dir und den Mitmenschen. Das solltest Du so machen, wenn Du in Verbindung kommen oder bleiben möchtest.
  • Du den Moment innerer Großzügigkeit nicht verstreichen lassen solltest, er ist manchmal flüchtig, und Du kannst auf andere freundlich zugehen, auch nachgeben, wenn es Dir möglich erscheint. Das solltest Du tun, wenn Du erleben möchtest, wie es Dich bereichert, wenn Co-Regulation geschieht. Wenn Ihr Euch für einen Moment in Freundlichkeit verbunden spürt.
  • Du Deine Kenntnisse in Entspannungsverfahren, in Yoga, in Meditation wiederhervorkramen solltest, falls Du solche hast, ansonsten gibt es gute Möglichkeiten, all das zu erlernen, auch online.
  • Du Dich mal austoben solltest, wild tanzen, Gewichte stemmen (geht mit allen möglichen Haushaltssachen ganz gut!), lauthals singen.

All das kann auch ohne Corona-Zeit gelebt werden, na klar!

Eine schöne Woche!