Nicht nur Friede Freude Eierkuchen…

Ein bisschen will ich mit dieser Überschrift Interesse wecken, zugegeben. Die wenigsten Klient*innen, die ich bisher in meiner Praxis kennengelernt habe, erwarten, dass es ihnen von nun an nach jeder Sitzung besser gehe und dass es in den Sitzungen hauptsächlich ums sich Wohlfühlen ginge.

Eher ist es so, dass einige Befürchtungen mit in die ersten Stunden genommen werden: Werde ich auch nicht missverstanden werden? Wird man mich auch ernst nehmen? Komme ich womöglich komplett ins Trudeln und verliere die Kontrolle, wenn ich an meine schwierigen Themen rühre? Ist die Therapeutin vertrauenswürdig? Komme ich im Verlauf des Prozesses noch mit meinem Lebenspartner oder Eltern klar oder wird es alles noch schwieriger?

Und vieles mehr. Solche Befürchtungen aufzunehmen ist Teil des therapeutischen Prozesses. Damit ist mehr gemeint als nur der Aufbau eines vertrauensvollen Verhältnisses zwischen Klient*in und Therapeut*in.

Es geht auch darum, das Vertrauen in die eigenen Kräfte beim hilfesuchenden Menschen zu wecken und zu entwickeln und auch ganz wesentlich darum, im therapeutischen Prozess eine Transparenz und Orientierung herbeizuführen, die es den Hilfesuchenden erleichtert, sich als wesentliche Akteure ihrer Therapie zu erleben.

Wenn das gelingt, geschieht oft Herausforderndes.

Im Verlauf der Therapie wird nicht selten entdeckt, dass eine Traurigkeit zwar lange schon im Leben dabei war, aber irgendwann einmal wurde sie mit allerlei Mechanismen unseres kreativen Gehirns so versteckt, dass sie nicht mehr gespürt, nicht mehr gesehen wurde.
Diese Entdeckung ist von Frieden, Freude, Eierkuchen weit entfernt. Die Tränen fließen und die Traurigkeit ist sehr präsent. Dennoch, all das ist häufig begleitet von der Empfindung, dass sich etwas löse und dass dies gut sei.

Schwieriger kann es werden, wenn etwas auftaucht, was als destruktiv erlebt wird. Was tun? Wichtig ist hier, wie auch an vielen anderen Stellen, an denen sich Klienten als irgendwie falsch erleben, innere Bilder und Sätze anzubieten, die bedeuten:

Du bist nicht diese Wut, diese Lust zu zerstören, zu verletzen, nicht dieser Drang zur Selbstverletzung.
Du bist nicht diese Angst, diese Panik, diese Erstarrung. Auch nicht diese Hoffnungslosigkeit.
Was immer es sei, es ist eine Seite von Dir. Du bist mehr als das.

Ein schlimmer Zahnschmerz will Dir auch erzählen, Dein Ich säße im Zahn. Und doch stimmt es nicht. Der Schmerz vergeht, wird behoben, und Du bist immer noch da. Lass Dir nichts erzählen, geh zum Zahnarzt! Deine Beine helfen dir dabei!

So wie der Schmerz Dich auf etwas hinweist, was dringend getan werden sollte, nämlich zuerst mal „Ruf die Praxis an, Mensch!“ so kann auch die erschreckende Erfahrung, dass es destruktive Seiten in Dir gibt, Dich auf einen Handlungsbedarf hinweisen. Du bist mehr als das. Du kannst etwas tun.

Der Wunsch, die Fäden der Handlung in der Hand zu behalten oder zurückzuerobern wird häufig von der Vorstellung begleitet, diese destruktive Seite müsse weg. So wie ein schlechter Zahn. Das funktioniert allerdings eher nicht. Die destruktive Seite sollte sinnvollerweise gefragt werden: Hey, warum machst Du das? Du Wutnickel, Du Angsthase in meinem inneren Ensemble? Du, die/der Du mich von meinen guten Vorsätzen abhalten willst, weil angeblich große Gefahr droht?

Und so beginnt es: Wir gehen in den Dialog mit unseren wenig geliebten Seiten. Wir stellen Fragen, wir wollen Antworten.

Wir können der Seite, die wir identifiziert haben im Chor unserer inneren Stimmen einen Namen geben. Wir können ihr eine Gestalt verleihen: Groß oder klein, dünn oder dick. Laut? Wahrscheinlich ja. Beweglich? Schwer zu fassen? Aufdringlich? Welche Stimme hat sie? Von woher redet sie? Hinter mir, von oben? Drohend aufgebaut vor mir? Beißt sie mich in die Wade?
Nein, ich verhohnepiepele Sie nicht, solche Bilder können auftauchen und sie könne dafür sorgen, dass innerer Abstand gewonnen wird. Wir sind mehr als unsere inneren Gestalten. Und: Wir haben sie einmal selbst entwickelt!

Diese Erkenntnis ist gut: So wie unsere Träume ganz und gar unser sind, sogar die Alpträume, so sind es die im Inneren Agierenden auch. Sie wurden in unserem kreativen Gehirn einmal entwickelt, weil sie zur Hilfe in der Not irgendwie gut zu sein schienen. Vielleicht waren wir da noch ganz klein oder sehr jung.

Es ist oft nicht einfach, dies zu akzeptieren und dann auch noch herauszufinden, was das denn für eine Hilfe gewesen sein könnte. Es lohnt sich, auf die Suche zu gehen: Hey Du, warum machst Du das? Oder auch: Warum hast Du das damals so gemacht, als es begann?

Wir können die destruktive Gestalt auf eine Bühne stellen und uns die Performance einmal ansehen. Will „Heinrich“ oder „Berta“ einen Monolog halten? Dann hören wir ihm oder ihr gut zu. Will „Clara“ mit den anderen Stimmen im Chor sprechen und sie auf ihre Seite ziehen? Schau‘n wir mal, wer macht da mit? Und dass es keine Missverständnisse gibt: Wir sind auch mehr als die Summe unserer Seiten. Wir sind die Instanz, die zuhört, zuschaut, Schlüsse zieht und Konsequenzen ableitet.

Mag die Existenz eines Selbst, eines inneren Kerns, das wozu wir „Ich“ sagen, von manchen geleugnet werden – die meisten von uns erleben sich so, identifizieren sich mit dieser Idee, und wer sich hingegen verloren hat, verliert oft auch den Halt.

Wenn wir nun also von unserem Theatersessel aus dem Treiben auf der Bühne zuschauen und zuhören, werden wir womöglich dahinter kommen: All die da auf der Bühne meinen es irgendwie gut. Sie wollen Anerkennung dafür. Fragen wir sie nach ihren positiven Absichten.

Tun wir so, als wäre diese destruktive Seite unser Klient, unsere Klientin: Was führt Sie hierher, wobei kann ich Ihnen helfen? Worunter leiden Sie? Was suchen Sie? Was sind Ihre Ziele? Gibt es  Gegenspieler?

Seien wir wohlwollend, aufmerksam, wertschätzend. Das heißt nicht, dass wir den Ideen von Heinrich oder Berta folgen müssten. Wir können jedoch würdigen, dass er oder sie uns vor Gefahren warnen will. Vielleicht hat er noch nicht verstanden, dass wir jetzt erwachsener sind, handlungsfähiger. Vielleich muss Berta jemand sagen, dass wir viele andere hilfreiche Seiten in uns haben und weder Panik noch Wut brauchen, um uns zu schützen. Nehmen wir Clara bei der Hand: Ruh Dich aus. Ich hab Dich gehört. Danke für Deine Stimme. Du meinst es gut.

Zeigen wir Verständnis. Bleiben wir dran. Gehen wir in Verhandlungen. Stellen wir die Mitspieler einander vor!

Wichtige Botschaft auch an die schwierigen Seiten: Du darfst sein! Darf ich Dir nun von den anderen Seiten erzählen, die Du noch nicht kennst, sie kamen ja erst später ins Ensemble?

So beginnt es. Und am Ende kann Versöhnung stehen, mit allem, was uns ausmacht.

Eine gute Woche!