Nun ist also wieder Sylvester und in einigen Stunden beginnt das neue Kalenderjahr. Man kann gelegentlich den Eindruck gewinnen, dass Rückschau und Bilanz und / oder Vorhaben und Vorsätze zwingend bedacht, kommuniziert oder zumindest mehr oder weniger witzig genau heute zum Thema gemacht werden müssten.
Natürlich ist das nicht so, Lebenskonzepte sind unterschiedlich.
Da gibt es zum Beispiel völlig verschiedene Vorstellungen darüber, wann ein neues Jahr, auch kalendarisch, begönne. Manche teilen die Jahre nach dem Mondkalender voneinander, dann wandert das Neujahrsfest von Jahr zu Jahr – bezogen auf den uns allen bekannten und für offizielle Angelegenheiten verbindlichen Kalender.
Dann gibt es noch die Aussage, dass schließlich in jedem Moment unseres Lebens ein neues Jahr begönne, genau jetzt. Somit wäre auch, je nach Geschmack und Neigung, ein permanentes Bilanzieren und Neu-Planen angesagt. Das klingt für mich anstrengend, aber der Grundgedanke gefällt mir: Reflektieren und Neuplanen benötigt keinen äußeren, schon gar keinen kalendarischen Anlass. Gut wäre, sich anzugewöhnen, nach inneren Bedarfen und Erkenntnissen den Zeitpunkt zum Innehalten wahrzunehmen und dann auch mit Inhalt zu füllen.
Manche Menschen nehmen den eigenen Geburtstag zum Anlass, sich neu zu orientieren. Ein Umzug kann es beispielsweise sein, der zur Rück- und Vorschau herausfordert…
Nun, Sie sehen, auch ich mache mir solche Gedanken gerade heute, an Sylvester.
Mir geht heute besonders durch den Kopf, was ich an Werten über die Jahre hinweg entwickelt habe. Was davon habe ich im vergangenen Jahr gelebt, was will ich weiterhin zu meiner Richtschnur machen? Diese Grundfragen will ich mir stellen, bevor ich eine Planung meiner Jahresziele vornehme.
Ich meine hier die ideellen Werte, die Handlungsleitlinien, nach denen ich leben möchte. Nicht einbeziehen will ich hier die Bedürfnisse, die selbstverständlich ebenso handlungsleitend wirken, mehr oder weniger bewusst. Dies ist ein eigenes Thema.
Solche ideellen Werte können mit einem übergeordneten Lebenskonzept, wie Religion oder politischer Überzeugung, eng verknüpft sein, sie können überkommen aus der Herkunftsfamilie sein, sie können täglich medial vermittelt werden, manchmal, ohne dass wir es bemerken, sie werden oft im Freundeskreis geteilt.
Brüche im Leben, eine Trennung, neue Bezugspersonen, Verluste jeder Art, Zumutungen von außen können sowohl das Lebenskonzept als auch die Wertvorstellungen zum Schwanken oder zum Einsturz bringen. Etwas scheint nicht mehr zu passen. Anpassungen, die vorgenommen werden, können zum zufriedenen Leben beitragen oder sie sind dysfunktional, verschlimmern die Situation.
Wie immer wir mit unserem Wertesystem leben – es wird Folgen für unsere psychische Verfasstheit haben. Dies gilt auch für den Fall, dass jemand allen Werten abschwören möchte und nur noch eigene Bedürfnisse zu Richtschnur nehmen möchte.
Alles hat seinen Preis, alles kostet. Es lohnt sich zu schauen, ob man die Kosten seiner Überzeugungen tragen möchte. Beispiele:
Haben Sie im letzten Kalenderjahr den Wert verfolgen wollen, stets verlässlich im Beruf zu sein und lieber die Last der KollegInnen mitzutragen, als selbst zu Last zu fallen? Schauen Sie genau hin, ob Sie drohen, unter dieser Belastung zusammenzubrechen! Wollen Sie das?
Wollten Sie stets für ihre Familie da sein? Gab es dennoch Konflikte und kam es zu Übergriffigkeiten oder zu nicht endenden Ansprüchen? Gab es deshalb Schwierigkeiten mit Personen, die mehr Beachtung haben wollten und oft zu kurz kamen? War eine dieser Personen Sie selbst? Soll es so bleiben?
Kommt es Ihnen so vor, als hätten Sie im letzten Kalenderjahr kaum eigene Ziele verfolgt, kann es einen Zusammenhang dazu geben, dass Sie ihrer eigenen Wertewelt verlustig gegangen sind und sich so zum Spielball der Vorstellungen in Ihrer Umgebung gemacht haben? War das gut für Sie?
Waren Sie einmal sehr engagiert, politisch, ehrenamtlich, kirchlich, sind Sie es nicht mehr, weil Sie zu viele Enttäuschungen verbuchen? Ist noch etwas in Ihnen, das sich gern engagieren möchte? Geht es vielleicht diesmal etwas kleiner, ohne den großen Rahmen, nicht minder wichtig, wenn es zu Ihren Werten gehört, einen positiven Beitrag zur Welt zu leisten?
Haben Sie Ihren Kindern jede Schwierigkeit aus dem Weg zu räumen versucht und stellen nun fest, dass dies ein Irrweg war? Sind Sie mit sich selbst deshalb derart unzufrieden, dass Sie depressive Verstimmungen oder Ängste entwickeln? Gibt es andere Möglichkeiten, damit umzugehen?
Haben Sie die Wertvorstellung, alles können zu müssen, möglichst keine Fehler zu machen und finden Sie sich wieder in einem Leben voller Selbstzweifel, womöglich mit körperlichen Begleiterscheinungen? Gibt es einen Ausweg?
Haben Sie irgendwann beschlossen, nur noch sich selbst wichtig zu nehmen und wundern sich nun über mangelnde soziale Wärme in Ihrem Leben? Ist Neuorientierung möglich?
Menschen tun nichts ohne Grund, für alles gibt es Begründungen. Allerdings: Der Herr, die Frau Ihrer Begründungen sind Sie selbst!
Damit sind Sie in der Lage, den Jahreswechsel zu nutzen, hinzuschauen, zu bewerten, zu entscheiden. Vielleicht mögen Sie sich dazu ein paar Gedanken aufschreiben, vielleicht mit vertrauten Menschen darüber sprechen?
Draußen beginnt verstärkte Ballerei…. Kommen Sie gesund und unversehrt ins Neue Jahr! Sollten Sie zu denen gehören, die auf Pyrotechnik nicht verzichten wollen, prüfen Sie, ob Sie zu Ihrem Wert erklären wollen, Menschen nicht durch diese zu schädigen, das wäre ein Wunsch von mir an Sie!
Guten Rutsch!