Dauerbrenner in meiner Praxis: Nicht-Nein-Sagen

“Wenn etwas schnell gemacht werden muss, dann springe ich als erste auf und mach es.”
“Wenn ein Anruf kommt und jemand braucht Hilfe, dann schmeiße ich meine Planung um und sage zu.”
“Auf mich kann man sich verlassen, ich bin zur Stelle, wenn nach Unterstützung gefragt wird!”

Bis hin zu: “Ich bin ein Ja-Sager!”

Die Bewertung kann dann sehr negativ ausfallen:
“Mit mir kann mann es ja machen!”
“Auf meine Bedürfnisse nimmt niemand Rücksicht!”
“Es geht immer nach der Nase von anderen!”
“Ich habe keine Achtung mehr vor mir, weil ich immer zu allem Ja sage.”

Der Wunsch nach Veränderung äußert sich unterschiedlich:
“Ich will auch gesehen werden!”
“Ich will mich selbst wichtiger nehmen!”
“Ich finde es schon gut, dass ich verlässlich und hilfsbereit bin, aber ich will auch lernen, einmal Nein zu sagen!”

Der Weg zu den Zielen in der Therapie geht oft einher mit:
“Die Familie merkt, dass ich mich verändere, ich stehe mehr zu meinen Bedürfnissen!”
“Meine Freunde stellen fest, dass ich auch mal Grenzen setze!”
“Meine beste Freundin hat gesagt, ich bin garnicht mehr so lieb wie früher!”

Was kann für das unter allen Umständen Ja-Sagen die Ursache sein?

Gar nicht selten begegnet mir die Befürchtung, abgelehnt zu werden. Der Wunsch, dazuzugehören und gemocht zu sein, zumindest anerkannt, ist ein starker Motor!
Im Laufe des Lebens kann dem einen oder der anderen der Schneid abhanden gekommen sein, Ablehnung zu riskieren. Durch vielerlei äußere Ereignisse angestoßen, letztlich durch die Art und Weise der Verarbeitung dieser Ereignisse, entsteht dann ein selbstschädigendes Verhalten mit der Überschrift “Die anderen zuerst!”

Es kann auch sein, dass ein Mensch im Laufe seines Lebens, manchmal schon früh, ein sehr ausgeprägtes Wertesystem entwickelt, bei dem Hilfe für andere unumstößlich an oberster Stelle steht. Lange mag man glauben, die Kosten hierfür tragen zu können, bis sich Depressionen oder Ängste zeigen, die anscheinend ohne Ursache auftauchen.

Es ist sicher lohnend, im Laufe eines Lebens das eigene Wertesystem immer wieder auf den Prüfstand zu schicken. Ganz gewiss ist es ein guter Weg zu mehr Wohlbefinden, den eigenen Wert nicht länger mit der Anerkennung durch andere zu koppeln.

Manchmal ist eine kleine tägliche Übung hilfreich, wenn es darum geht, zunächst einmal Bestandsaufname zu betreiben:

Was habe ich heute für andere schon getan?
Für die Allgemeinheit, für die Nachbarn, für die Familie, Freunde, die Kollegen, völlig Fremde?

Habe ich im Dunkeln schon die Blätter auf dem Gehweg gefegt, damit niemand ausrutscht? (Hoffentlich bin ich selbst nicht dabei ausgeglitten!)
Habe ich jemandem eine dringende Frage beantwortet, zum Beispiel nach der besten Busverbindung? (Fuhr mein Bus derweil weg und mein Termin war geplatzt?)
Habe ich einer Kollegin die Arbeit abgenommen, obwohl mir das eigene Projekt im Nacken sitzt? (Hätten wir zusammen zur Leitung gehen können und mehr Zeit einfordern?)
Habe ich auf facebook alle, aber auch alle Kontakte gepflegt? (Es soll sich ja jede/r gewürdigt fühlen…. Oh, soviel Zeit schon um!)

Ach, wenn es auch nur entfernt Ihr Thema ist, Sie kennen passende Beispiele!
Ach, wenn es auch nur entfernt Dein Thema ist, Du kennst passende Beispiele!

Der Hebel kann angesetzt werden bei der Frage: Waren die Kosten für mich im Einzelfall zu hoch?
Die Frage kann lauten: War es in der Summe heute schon so viel, dass es Zeit wird, die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu holen?
Die Überlegung kann sein: Ich will auch weiterhin nett und hilfsbereit sein, aber nicht mit dem Ziel, meinen Selbstwert zu füttern… Denn dann bin ich frei in meiner Entscheidung, was im Einzelfall Vorrang hat.

Maxime: “Sag nicht Ja, wenn Du Nein meinst!”

Gute Antwort: “Ich möchte lieber nicht!”

Eine gute Woche!