… vom Umgang mit lähmenden Beziehungsdefinitionen, Eberhard Stahl in Friedemann Schulz von Thun, Dagmar Kumbier (Hg.), Impulse für Kommunikation im Alltag, Reinbek bei Hamburg 2010
Hat Sie schon mal jemand verbal plattgemacht? Waren Sie mehr oder weniger nach außen sprachlos und haben Sie stattdessen noch tagelang innere Dialoge geführt?
Da ich das kenne, habe ich mir aus den obengenannten Kommunikationspsychologischen Miniaturen 3 der Reihe „impulse“ den passenden Aufsatz herausgesucht und mir dazu so meine Gedanken gemacht.
Beispiele aus dem Leben:
– Da könnte sich zum Beispiel in einem Meeting eine vorgesetzte Person dazu entscheiden, eine teilnehmende Person verbal anzugreifen: „Wie wir leider in den vergangenen Wochen feststellen mussten, hat Koll. X es bis heute nicht geschafft, die Aufgabe Y abzuschließen.“
X, obgleich überrumpelt, wehrt sich dagegen, ohne Vorgespräch vor versammelter Kolleg_innenschaft bloßgestellt zu werden. Aber leider, auch daraus wird X ein Strick gedreht, Kritik anzunehmen, läge wohl auch nicht in ihrer/seiner Kompetenz, und bei weiteren Versuchen seitens X, sich zur Wehr zu setzen, wird darauf hingewiesen, dass X nicht in der Position sei, Vorgesetzten die Kommunikation vorzuschreiben und im Übrigen habe man ja noch wichtige Themen auf der Agenda und alle hätten ja zu tun, also…
– Da springt fröhlich ein nicht angeleinter Hund an einem fremden Hosenbein hoch. Leider hat A noch mit einer Hundephobie zu tun. A bittet rückwärtsgehend die ausführende Person darum, den Hund zurückzunehmen und anzuleinen. „Der will nur spielen, da müssen Sie doch keine Angst haben!“ und bei dringlicheren Bitten: „Sie sind ja wohl auch so ein Hundehasser! Wie kann man nur so verbohrt sein!“ oder „Mein Hund braucht seinen Auslauf, Sie haben mir gar nichts zu sagen!“
– B äußert den Wunsch, C möge doch bitte Abstand zu ihm/ihr einhalten. C: „Trödeln Sie halt nicht so, Sie halten hier ja den ganzen Verkehr auf!“
Was stellen wir fest: X, A und B versuchen, ihre Integrität zu bewahren, ihren Raum zu verteidigen, aber es gelingt nicht. Stattdessen wird ihnen erklärt, dass sie falsch liegen, keine Ansprüche zu stellen haben und irgendwie eh nicht wichtig sind. Der Angriff geht nicht nur ans Hosenbein, er geht ans Selbstgefühl.
X, A und B werden zurechtgewiesen und damit wird eine Beziehung definiert:
– offen: Hier Vorgesetzte_r, dort Anweisungsempfänger_in
– verdeckt: Hier Vertreter_in der Norm, der Regeln, dort Abweichler_in
Was tun?
Die drei können nachgeben und es dabei bewenden lassen. X sagt nichts mehr dazu und macht Überstunden, um Aufgabe Y zu beenden. A zieht sich zitternd mit verdrecktem Hosenbein nach Hause zurück. B beeilt sich und verlässt fluchtartig die Szene. Sie haben die Beziehungsdefinition akzeptiert.
Die drei können so tun, als wäre nichts passiert, X ändert nichts an seinem Arbeits- und Kommunikationsverhalten und riskiert, dass sich die Situation wiederholt. A sagt nichts mehr und riskiert, dass Hund und Halter_in ihren Spaß an ihm haben, B beeilt sich zwar nicht, hält die zunehmende Nähe aber nur verärgert aus.
Aber Achtung: Fehlende Ablehnung wird als Zustimmung interpretiert!
Sie könnten sich entscheiden, dabei zu bleiben, dass sie dies so nicht akzeptieren wollen:
X nimmt nach dem Meeting schriftlich Stellung und/oder fordert nachdrücklich ein Gespräch über den Vorfall. A weist auf die Rechtslage hin und stellt Konsequenzen in Aussicht. B besteht auf seinem/ihrem Wunsch nach Abstand, mit Augenkontakt und Standfestigkeit.
Wie können die das hinkriegen?
Als erstes sollten die drei erkennen, dass hier jemand einseitig die Beziehung definiert hat, das hilft ihnen dabei, die eigene Reaktion zu reflektieren. Sie prüfen, ob sie das auch so sehen wollen. Sie kommen eventuell zu ihren eigenen Definitionen der Beziehung. Das kann ein guter Beginn sein.
Sie können sich für Metakommunikation entscheiden, zum Beispiel mit einer Einladung zur Partnerschaftlichkeit:
„Sie definieren Ihre Vorgesetztenrolle also so, dass Sie Mitarbeitende zu mehr Leistung anspornen, indem Sie sie anprangern. Ich sehe das anders. Ich wünsche mir von Ihnen als Vorgesetzte_r, dass Sie mit mir gemeinsam herausfinden, wo es bei Aufgabe Y hakt!“
Oder dem Hinweis, dass in der Welt unterschiedliche Werte und Bedürfnisse ihren Platz haben:„Sie möchten, dass Ihr Hund Freilauf hat. Ich möchte, dass ich mich frei bewegen kann. Ich zähle auf Ihr Verständnis!“
Oder mit dem Verweis auf die Möglichkeit der Ich-Botschaft, dem Hinweis auf übergreifende Normen:
„Sie möchten anscheinend das Tempo bestimmen. Wenn Sie eilig sind, bitten Sie mich doch einfach darum, beiseitezutreten oder Sie vorzulassen! Dann können wir friedlich und respektvoll miteinander bleiben!“
Jetzt sagen Sie vielleicht: Schön wär’s ja, wenn die drei das könnten, würden sie es ja so machen. Also: Was braucht es noch? Was macht es schwierig?
– Sollten es Befürchtungen sein, dass böse Konsequenzen drohen, die andere Person Macht ausnützt, trotz bedachter Wortwahl meint, angegriffen, ungerechtfertigt belehrt zu werden, oder gar Spaß an Eskalationen hat – dann gilt es wohl zu üben, immer wieder zu prüfen, ob solche Befürchtungen realistisch sind. Und wenn Ja: eine Kosten-Abwägung vorzunehmen. Was geschieht sehr wahrscheinlich, wenn ich mich in vergleichbaren Situationen wiederholt nicht konsequent zur Wehr setze? Was wiegt für mich schwerer?
– Wenn es überhöhte Ansprüche an die eigene Wehrhaftigkeit sind (das bekannte Phänomen, dass später / zuhause die genau richtigen Worte in den Sinn kommen): Sich Flapsigkeit erlauben lernen, nicht optimale Ergebnisse würdigen lernen. „Sonst noch was?“, „Was, wenn nicht?“, „Geht’s noch?“, „Falsch gedacht!“
– Wenn die Beziehungsdefinition lähmt, diese direkt zum Thema machen: „Wir stehen in Beziehung als Chef_in und Mitarbeiter_in. Wir haben dafür vertragliche Regelungen. Übergriffiges Verhalten ist in diesen Regelungen nicht enthalten!“ Oder „Wir stehen in Beziehung als gleichberechtigte Personen im öffentlichen Raum! Einseitiges Durchsetzen von Normen passt hier nicht!“
Und sollte die Beziehungsdefinition selbst der Kern des Problems sein – dann könnten wir sie zurückweisen!
Ein Beispiel aus dem Aufsatz: Eine berufstätige Frau ist gerade aufs Land gezogen. Ein schöner Sonntagnachmittag lässt sie die Entspannung auf der Terrasse genießen. Bis der Rasenmäher des Nachbarn losgeht. Sie fasst sich ein Herz und spricht den Nachbarn an, bittet um die Einhaltung der Sonntagsruhe. Nun erklärt ihr der Nachbar, dass sie als Neuankömmling keine Ahnung davon habe, wie „wir“ auf dem Land so zusammen klarkommen. Sie wird in eine Schieflage gebracht, als städtischer Störenfried ausgegrenzt. Wenn sie klarmacht, dass es hier nicht um Stadt-Land, eingesessen-zugezogen geht, sondern schlicht um die Einhaltung von Vorschriften, dann weist sie die Beziehungsschieflage zurück.
X kann die Deutung, zu empfindlich gegenüber Kritik zu sein, zurückweisen. Es geht hier schließlich um angemessenes Feedback. B kann die Deutung, das Problem läge in seinem Langsam-Sein zurückweisen, es geht um Respekt vor dem Raum anderer. A weist zurück, ein Hundehasser zu sein. Es geht um die Verantwortung des Halters, der Halterin.
Ach und übrigens: Wenn X anfängt, sich in dem Meeting zu rechtfertigen, dann hat X die Deutungshoheit und Beziehungsdefinition des Gegenübers akzeptiert… Das könnte Folgen haben für die Zukunft.
Wenn A mit deiner Hundephobie argumentiert – ebenso!
Wenn B erklärt, dass er gerade an einem körperlichen Gebrechen leidet – siehe oben!
Guter Weg?
In dem gelesenen Artikel geht es viiiel differenzierter und vielschichtiger zu, als ich es hier dargestellt habe – vielleicht haben Sie Appetit bekommen.
Eine gute Woche!