Ein Anruf bei der allein lebenden Tante

Manchmal geschieht folgendes: Wir nehmen eine Umgebung oder Situation als sicher wahr, ohne sagen zu können, aus welchem Grund wir das tun. Dann haben wir Hinweisreize vorbewusst verarbeitet und unser Nervensystem hat darauf angepasst reagiert. Wir bemerken nicht, wie dies geschieht, es ist eben dem Bewusstsein nicht zugänglich. Zum Beispiel: Wir stellen fest, wir mögen einen Menschen spontan, einfach so.
Umgekehrt ebenso: Wir vertrauen einer Person oder Umgebung nicht, ohne sagen zu können, weshalb. Es sind noch gar nicht genügend Daten für unser bewusstes Denken vorhanden und wir haben schon reagiert, unser Nervensystem hat reagiert.
Hier ist also nicht die Rede von Denkprozessen, die manchmal ebenfalls so blitzschnell ablaufen können, dass wir sie mit einer Reaktion des Nervensystems verwechseln könnten und somit wie automatisch erscheinen. Diese Denk-Prozesse können wir lernen zu entschlüsseln, das ist Übungssache und die Kognitive Verhaltenstherapie arbeitet damit.
Hier ist die Rede von tatsächlich unwillkürlichen, dem bewussten Denken nicht zugänglichen Reizen und den darauf angepassten Reaktionen des Nervensystems.
In der letzten Woche schrieb ich von einem freundlichen Augenkontakt, der bei uns die Empfindung von Entspanntheit hervorrufen kann, indem unser Nervensystem für die Ausschüttung des Hormons Oxytocin sorgt. Ein tiefer ruhiger Atemzug kann dann die Antwort unseres Körpers sein.

Heute geht es in meinem Text um die Hinweisreize, die wir durch das Hören von Stimme empfangen. Wir reagieren körperlich auf die Intonation, die wir hören. Das ist eine alte Geschichte: Die ersten Säugetiere verständigten sich über Laute, mit denen sie Zugehörigkeit und Verbundenheit signalisierten. Dies verhalf ihnen in ihrer Entwicklung zu Vorteilen.
Und heutzutage können wir dies im Gespräch und sogar am Telefon erleben: Eine bestimmte Intonation des Gegenübers ruft eine körperliche Reaktion von Wohlbefinden hervor – oder eben nicht.

Mit unserer Stimme können wir also zur Entspannung und damit zur Gesundheit unserer Kommunikationspartner beitragen. Das ist doch gut zu wissen!
Und wichtig: Es mag vorkommen, dass wir durchaus wohlmeinend sind, dass wir freundliche Worte sagen, aber vielleicht abgelenkt, zerstreut, einfach sehr müde sind, und dann unsere Worte zu Reaktionen führen, die wir nicht verstehen. Wir waren wohl nicht im Hier und Jetzt, unsere Stimme nicht beim Inhalt unserer Worte, das Gegenüber ist bestenfalls verwirrt, schlimmstenfalls ablehnend.
Sind wir hingegen „bei der Sache“, im Hier und Jetzt und mit unserer Aufmerksamkeit beim Gegenüber, dann kommen freundliche Worte auch an, so freundlich, wie wir sie fühlen und meinen. Dann ist es gar nicht so wichtig, ob jedes Wort gut gewählt war. Die Stimme macht es, unser Gegenüber entspannt sich.
Ist es auf beiden Seiten so, dass wir in der Situation bleiben, nicht etwa im Kopf ganz andere Themen wälzen, sondern wirklich frei sind, zu kommunizieren, dann können wir uns gegenseitig co-regulieren, beruhigen und unsere Gesundheit fördern.

Wenn unser ganzes Nervensystem eingestimmt ist auf die aktuelle Kommunikationssituation, der ganze Körper präsent, die Möglichkeiten unserer Stimme also auch, dann kommt rüber, was wir meinen, dann erhöht sich die Chance auf ein gutes Miteinander. Oxytocin wird ausgeschüttet, Stressreaktionen werden gemindert, Vertrauen gefördert.

Umgekehrt kennen wir es, dass sich uns der Stress eines Kommunikationspartners auch über die Stimme mitteilt. Wir sollten jetzt unsere allein lebende Verwandte nicht anrufen mit dem Gedanken, wir müssten das jetzt tun, wenn wir gleichzeitig wegen eines Ereignisses in unserem Leben verärgert oder beunruhigt sind. Wir sollten vor diesem Anruf in einem gut regulierten Zustand sein, wieder runtergekommen, klar „bei der Sache“.
Sprechen wir gehetzt oder gestresst, wird sich das mitteilen, wir können sagen, was wir wollen, von wegen „alles in Ordnung“. Tante wird sich Sorgen machen und mit ihrem Herzklopfen am Ende des Telefonats zurückbleiben, nun auch gestresst.
Eigentlich wissen wir das, aber nicht immer handeln wir danach. Manchmal wollen wir auch betont munter rüberkommen um aufzumuntern, schwieriges wollen wir überspielen und ernten bestenfalls eine sehr verhaltene Reaktion.

Mit der Melodie, der Tonlage, dem Rhythmus und einer differenzierten Verwendung der Laute in unserer Sprechweise können wir dafür sorgen, dass unser Gegenüber uns gut zuhören kann, sich dabei sicher fühlen kann und daraufhin besser in Kontakt mit sich selbst und mit uns kommen kann – auch und gerade dann, wenn unangenehme Gefühle wie Traurigkeit oder Angst im Vordergrund stehen und belasten. Auf diese Weise ist Nähe sogar über die Telefonleitung möglich.

Achten Sie darauf, dass Sie nicht in einen „Telefonton“ verfallen, wenn Sie in Kontakt gehen und jemandem etwas Gutes tun wollen!  Stellen Sie sich vor, Sie sind im selben Raum!

Achte darauf, dass Du nicht in einen „Telefonton“ verfällst, wenn Du in Kontakt gehst und jemandem etwas Gutes tun willst!  Stell Dir vor, Ihr seid im selben Raum!

Wären wir zusammen im selben Raum, säßen bequem, mit der inneren Haltung, jetzt gemeinsam Zeit zu verbringen, wäre ein ruhiger Plauderton mit dynamischen Elementen und kleinen Pausen sehr wahrscheinlich. Es wäre einfacher, aufmerksam auf das Gegenüber zu achten, als dies am Telefon der Fall ist. Es ist aber auch am Telefon möglich, Rückfragen zu stellen, sicher zu stellen, dass wir nicht aneinander vorbeireden. Es ist immer gut, auf Dialog eingestellt zu sein, in dem beide Raum haben, sich mitzuteilen.

Manches ist einfach eine Gewohnheit, die wir uns von Vorbildern abgeschaut haben, so sprechen wir gelegentlich sehr laut, wenn wir telefonieren, was normalerweise unnötig ist, denn wir werden auch von schlecht hörenden Menschen gut verstanden, wenn wir weder undeutlich noch überhastet sprechen. Wenn wir das an uns bemerken, könnten wir uns daran erinnern, dass ein wechselvolles Sprechen in Melodie, Tonhöhe und Lautstärke vom Gegenüber gerade auch körperlich als angenehm empfunden wird. So wird das Gespräch auch für unser eigenes Wohlbefinden sorgen.
Ein Lächeln beim Sprechen kann sich als Zuwendung übertragen, und auch wenn wir trösten wollen, ist die Mundwinkel sinken zu lassen, keine gute Idee!

Eine gute Woche!