Einige Gedanken zu Konflikten
Konflikte sind nicht per se unangenehm. Sie werden unterschiedlich bewertet und erlebt. Man kann auch Spaß daran haben. Manche genießen auch den Nervenkitzel dabei. Endlich Leben in der Bude! Naja, das läuft von allein.
Sprechen wir hier und heute über als unangenehm erlebte Konflikte. Solche, wo Verletzlichkeit empfunden wird.
Da hilft es oft, die eigenen Denkstile zu kennen!
Nehmen wir an, eine Person C habe weniger Probleme damit, die Abstandsregeln einzuhalten, als bestimmte Menschen in ihrer Umgebung. Sie ist soweit zufrieden. C arbeitet im Home-Office, sie hat sich recht gut mit einem Wochenplan auf die neue Situation eingestellt. Sie achtet auf Pausen, hat mit der Chefetage geklärt, dass ein ungebremster Zugriff auf ihre Zeit in dieser Situation genauso wenig zielführend für gute Arbeitsergebnisse ist, wie es dies im Büro der Firma wäre. Dass es sich hingegen in der Vergangenheit für alle Beteiligten als hilfreich und ertragreich erwiesen hat, C in Ruhe ihre Arbeit machen zu lassen. Sie kann sich gut organisieren und verfolgt die Belange der Firma mit Engagement.
Die meisten privaten Beziehungen hat C einvernehmlich gestalten können: Kein persönliches Treffen, bis die Lage sich nachhaltig geändert hat, dafür aber durchaus häufiger und zum Teil sogar intensiver als zuvor. An einigen Punkten entwickelten sie zusammen eine stärkere Offenheit und Nähe. C erlebte, wie viele kreative Ideen von ihr zum Teil begeistert aufgenommen wurden. So schicken sich Freund*innen selbst gestaltete Postkarten. Eine Kollegin versendet immer mal wieder kleine Gedichte. Eine hat eine neue Seite in Social Media aufgemacht, wo nun geteilt wird, was gut tut in schwieriger Zeit. C hat entdeckt, dass sie mit ihren Ideen, einen komplexen Alltag mit all seinen Beschränkungen zu gestalten, gut aufgenommen wird.
Eine hochkompetente Person also.
Dieses Kompetenzerleben bricht leider regelmäßig ein, wenn Cs Mutter ihre Bedürfnisse C gegenüber verfolgt.
Schon vor Covid-19 kam M in etwa so zu Besuch: Ich teile dir hiermit mit, dass ich am Freitag um 11.00 Uhr bei dir sein werde. Ich denke, es ist mal wieder an der Zeit, seine Mutter zu sehen, nicht wahr?
Das war schon immer für C ein Problem, mit dem sie weniger gut zurechtkam – nun wird es zum Konfliktstoff für sie, der heftig ist. Denn: C achtet auf Abstand. Wir wissen nicht, ob sie selbst eine sogenannte Risikoperson ist, wir wissen nicht, ob es ein hoch ausgebildetes Verantwortungsbewusstsein und Wertesystem ist, das es ihr ermöglicht, Zurückhaltung zum Schutz anderer zu üben.
Wir sehen ihr dabei zu, wie sie so lange zufrieden ist und mit sich im Reinen, bis Mutter ihren Besuch ankündigt.
Alles Mögliche geht C durch den Kopf – sie findet es nicht richtig, dass M kommt, sie möchte es lieber nicht. C prallt mit Gegenvorschlägen ab – an kleinen Videos mit irgendeinem technischen Hilfsmittel übermittelbar hat M kein Interesse. Lieber mal öfter zu telefonieren, findet zwar Ms Zustimmung, aber nur als Zusatz zum Besuch. Sie will ihre Tochter bei ihr zu Hause antreffen, basta. Nein, nicht draußen, das ist ihr zu kalt und auch nicht intim genug, und sie will ja auch den Eintopf zum Mittag mitbringen.
Wie können wir C helfen?
- C könnte sich zunächst ein Schlimmstenfall-Szenario ausmalen, das daraus entstehen könnte, wenn sie M klipp und klar ausladen würde.
M könnte so gekränkt und wütend reagieren, dass sie den Kontakt abbrechen würde.
M könnte einen Herzanfall erleiden und daran sterben.
M könnte alle Menschen, die sie kennt, darüber informieren, was sie für eine schreckliche Tochter hat, und man würde mit dem Finger auf sie zeigen, sie schneiden für den Rest ihres Lebens.
C würde sich selbst dafür fertig machen, dass sie so herzlos war.
C fiele bestimmt noch mehr ein!
Nachdem sie das aufgeschrieben hätte, könnte C die einzelnen Punkte darauf abklopfen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit dafür wäre, dass dies so einträte und sie würde erkennen können, wie sie die möglichen Auswirkungen auf sich bewerten will.
Als nächstes könnte sie sich das Schlimmstenfall-Szenario ausarbeiten, das aus dem gestatteten Besuch wider Willen erwachsen könnte.
Sie selbst würde sich als macht- und einflusslos erleben und niedergeschlagen reagieren, was ihre Erfolge in anderen Bereichen schädigen könnte.
Sie könnte M anstecken, sie war gestern beim Arzt, man weiß ja nie. M könnte sterben.
Sie selbst könnte sich bei ihrer sorglosen Mutter anstecken, schwer erkranken, man weiß es nicht vorher, die Folgen könnten sie ein Leben lang begleiten.
Eine wichtige Arbeit könnte sie dann nicht fertig machen.
Sie würde sich selbst dafür fertig machen, dass sie wieder nachgegeben hat.
Sie schreibt wieder alles auf, malt sich in kräftigen Farben aus, was sein könnte, schaut, ob sich Argumente zusammen fassen lassen, prüft auch hier auf Wahrscheinlichkeit und darauf, was die möglichen Konsequenzen für sie bedeuten würden.
2. Wenn C daraufhin noch kein Ergebnis für sich findet, kann sie eine Ja-Nein Liste mit den übriggebliebenen Argumenten aufschreiben und diese mit Punkten bewerten und gewichten. Wo schlägt die Waage aus? Vielleicht wird es schon etwas klarer für C.
Aber C ist noch ambivalent.
3. Nun arbeitet sie an den möglichen Gewinnen ihrer beiden Alternativen.
Wenn M kommen darf, wird sie leidlich zufrieden reagieren, bis zum nächsten Mal. Immerhin, ein kleiner äußerer Frieden.
Und C will ja auch nicht, dass es M schlecht geht. Auch ein kleiner innerer Frieden.
Sie muss an dem Tag nichts für sich kochen, der Eintopf ist durchaus ganz lecker.
Sie erlebt sich als jemand, der stark genug ist, auch mal die Bedürfnisse anderer wichtiger zu nehmen als die eigenen.
Wenn sie hingegen M lieber abweist, könnte M eventuell auch einen neuen Weg für die gemeinsame Beziehungsgestaltung entdecken, sie will ja wohl keinen Abbruch. Es könnte sich etwas Neues für sie beide daraus entwickeln.
C könnte den Tag nach ihren ursprünglichen Planungen gestalten.
C erlebte sich als unabhängiger und selbstwirksamer als bisher in dieser Beziehung.
Auch hier prüft C, so wie in 1. Und gewichtet wie in 2.
4. Nehmen wir an, C entscheidet sich nun für das „Nein“ zum Besuch, weil ihre Überlegungen sie dorthin geführt haben.
Nun weiß sie noch lange nicht, wie sie es durchsetzen will.
Als erstes erlaubt sich C, die restlichen ambivalenten Gedanken zuzulassen. Es war nicht einfach reiner Quatsch, M bisher nachgegeben zu haben. Dafür hatte sie Gründe. Nun aber hat sie eine veränderte Bewertung entwickelt und will das in Handlung umsetzen.
Mit diesen Gedanken der Selbstakzeptanz für das, was bisher war, und dem was nun sein soll, macht C eine Übung:
Sie schreibt sich einige für sie stimmige und wichtige Sätze auf, mit denen sie M ihre Entscheidung mitteilen will.
Diese Sätze sagt sie leise, so vor sich hin, mit eingezogenem Kopf und krummem Rücken. Schutzlosigkeit fantasierend.
Danach sagt sie dieselben Sätze passend laut, mit aufrechter Haltung, erhobenem geradem Blick, gutem Stand, und dabei beweglich, freundlich atmend, eine Schutzhülle fantasierend. Es wird kommen, was kommt, sie lässt zu sich hinein nur, was sie möchte. Auch das Hinausgehende kann sie kontrollieren, sie hat geübt. Alles, was C von M kennt, kann von ihr erneut gesagt werden, möglicherweise auch Eskalierendes. Es tropft aber an der durchsichtigen Hülle ab.
So verfährt sie einige Male, bis sie sich als kraftvoll wahrnimmt und greift zum Hörer.
Sollte es beim ersten Mal noch nicht klappen wie gewünscht, wird C ein zweites Mal zum Hörer greifen.
C muss das so nicht machen. Sie kann finden, das sei aber sehr aufwändig. Das ist in Ordnung. Vielleicht ist sie aber auch neugierig auf neue Erfahrungen mit sich und ihrer Denkweise. So wie ich sie kenne, ist das so.
Das geht übrigens mit jedem Konflikt, der zu schwächen droht, gar ängstigt. Man muss es nicht, man kann es mal probieren. Die einzige Gefahr ist, es könnte wirken. Grins.
Eine gute Woche!