Da sagt jemand glatt: Ich bin dann mal weg!

Da verlassen Menschen eine Situation, die sie so nicht mehr erleben wollen, und eine nicht geringe Menge anderer Menschen ist völlig überrascht, wie es denn so weit kommen konnte…

Tja. Wie? Die Zeitungen schreiben über einen Trainer, der darum gebeten hat, vorzeitig aus seinem Vertrag entlassen zu werden. Entlassen aus dem Job, entlassen vielleicht aus einem gefühlten Gefängnis? So nach dem Motto: „Lasst mich hier raus!“
Wie kann es so weit kommen?

Wenn ein Trainer unter stetiger Erfolgserwartung steht, aber an für seinen Erfolg wichtigen Entscheidungen nicht beteiligt wird, wenn einer seine Kompetenz schon gründlich bewiesen hat, aber seine Einwände abgetan werden, dann kann es am Ende so weit kommen. Aber ich weiß das genauso wenig wie alle andern, die nicht dabei waren, ob das in diesem Fall so war.

Ich war allerdings dabei, als eine Lehrerin gesagt hat „Ich bin demnächst dann mal weg“, denn diese war ich selbst. Lieber Risiken eingehen und auf Sicherheiten verzichten, als permanent als sinnlos bis schädigend beurteilte Anweisungen umsetzen zu müssen. Lieber, als für die Folgen vor sich selbst und vor anderen geradestehen zu müssen, jedoch keinen Einfluss auf den Prozess eingeräumt zu bekommen. Man mag eine Weile kämpfen, nicht vorzeitig aufgeben, aber irgendwann ist Schluss.

Auch kenne ich Menschen, die in ihrem Arbeitsleben einen beachtlichen Berg an Erfolgen und immer wieder frischen neuen Kompetenzen angehäuft haben, die ihre Vorschläge argumentativ gut untermauern können, analytisch und methodisch top sind, denen dennoch nicht zugehört wird.

Manchen wird zugehört, aber gleich wieder vergessen, was gesprochen wurde. Umgesetzt wird irgendwas anderes. So ist es manchmal in Teams. Kennen Sie / kennst Du den Werbespot, an dem es am Ende heißt „Wir machen das mit den Fähnchen?“ Das Altbekannte, das Naheliegende, das kurzfristig Erfolgversprechende schlägt dabei jede Analyse und jede Argumentation. Manchmal einfach, weil es bequemer ist, erstmal.

Ganz schlimm wird es, wenn Werte niedergetrampelt werden auf einem gemeinsam begonnenen Weg. Werte sind vielen viel mehr Wert als die Leitlinie „Mach Geld, mach mehr Geld!“ So sagt jedenfalls die Forschung, wenn sie Arbeitsmotivation untersucht.

Manche Entwicklung schmerzt regelrecht, man mag es nicht mehr aushalten, dann ist es so weit: „Ich bin dann mal weg.“

Gar nicht selten ist „Schmerz“ wörtlich zu nehmen. Im Widerspruch zu eigenen Erkenntnissen leben und arbeiten zu müssen, kann körperlich weh tun. Zunächst entsteht Stress, der als andauernder Zustand zu Kopf-, Schulter-, Rückenschmerz führt – und nein, es trifft nicht nur die besonders empfindsamen Menschen, es trifft auch die besonders engagierten und leistungsstarken.
Schmerz sei für das Gehirn nur eine besondere Variante von Stress, schreibt Ulrich T. Egle, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, gleich zu Beginn seines Buches „Psychosomatische Schmerztherapie“ Kohlhammer 2020. Die vernetzten Hirnareale für Stressverarbeitung und Schmerz überlappen sich demnach weitreichend.

Während überschaubare und kontrollierbare Stresssituationen über eine Aktivierung des sympathischen Nervensystems und nach einer Reihe biochemischer Abläufe im Körper eher Lernvorgänge befördern, die zu einem angemessenen Umgang mit der Stresssituation führen können, enden unüberschaubare und unkontrollierbare Stresssituationen im schlimmsten Fall bei bleibenden Schädigungen mehrerer Hirnstrukturen und damit bei Einschränkungen in den Fähigkeiten, einen angemessenen Umgang mit der Situation zu finden. Auch erwachsene Gehirne seien davor nicht gefeit, schreibt Egle. Auch das Schmerzerleben werde beeinflusst, die Schmerzreize würden zunehmend intensiv wahrgenommen.  

Ein Verarbeitungsprozess im Gehirn, der unvernetzt stattfände, bliebe ohne Auswirkungen. Unser Gehirn arbeitet vernetzt, allerdings gibt es besonders bedeutsame Bereiche für die jeweiligen Prozesse. Das wissen wir, weil sich das durch bildgebende Verfahren ermitteln lässt. Egle schreibt über den Bereich, der Insula genannt wird, dass diese eine integrierende Funktion habe, für den inneren Zustand, für die Gesamtverfassung, und er bezog dies auf Stressverarbeitung und Schmerzerleben, auf dem Hintergrund biografischer Daten. Dabei hebt er ein Erleben von Ausgeliefertsein und Ausgrenzung besonders hervor.

So wurde ich auf die Insula neugierig und ich schaute mal wieder auf der großartigen Internetseite dasgehirn.info vorbei – und das ist, was ich fand:

Dass die Erfahrung von gerechtem Verhalten als Belohnung erlebt werde. Dass das Erleben von zugemutetem unfairen Verhalten sich in der Aktivierung der Insula abbilde. Dass insbesondere bei ungleicher Verteilung von Nahrung der vordere Teil der Insula im Gehirn aktiv werde – ein Areal, das nicht nur auf schmerzvolle Stimuli reagiere und bei Ekel und Abneigung aktiv sei, sondern auch auf soziale Ausgrenzung, missglückte Kooperation oder das Erlebnis, geliebte Menschen in ihrem Schmerz zu sehen, reagiere. Und offenbar ebenso dann, wenn man selbst meint, ungerecht gehandelt zu haben. Forscher vermuteten, dass dieses Hirnareal unter anderem dabei helfe, negative soziale Erlebnisse in Zukunft zu vermeiden.

Fairness sei mehr als eine moralische Kategorie. Es sei eine Sichtweise, die tief in uns verankert sei. (Quelle: Neuroökonomie – Kooperation und Fairness werden belohnt (dasgehirn.info))

Die Insula sei ein wichtiger Projektionsort der Empfindungen der inneren Organe – neben Hunger kämen hier weitere Informationen an, darunter solche über Atemnot, Übelkeit und Völlegefühl. (dasgehirn.info/grundlagen/anatomie/der-insellappen)

Es kann uns anwidern,

wenn der wirtschaftliche Erfolg vor der Wertigkeit des Produkts steht,

wenn die Einzigartigkeit eines Individuums glattgebügelt werden soll,

wenn dessen Autonomie missachtet wird,

wenn ausgegrenzt und Kommunikation verweigert wird,

wenn Ungerechtigkeit normal sein soll,

wenn Solidarität keine Rolle spielt

und Selbstachtung negativ bewertet wird…

Und hier schießt sich der Kreis. Da ist manch_e dann lieber einfach mal weg, wenn Zustände solcherart empfunden werden. Und so möchte ich mich auch künftig für einen Abschied entscheiden, wenn ich mich angewidert fühle!

Eine gute Woche!