Diagnosen

Ich erhalte relativ häufig Anrufe, in denen ein kassenfinanzierter Therapieplatz angefragt wird. Diesen kann ich leider nicht anbieten, da die gesetzlichen Kassen uns Heilpraktiker*innen für Psychotherapie nicht bezahlen. Aber das ist heute nicht mein Thema.

Was mich beschäftigt: Nicht wenige Menschen rufen an mit einer fertigen Diagnose für ihre Symptomatik. Wenn ich zunächst darüber informiert habe, dass ich nicht über die Kasse abrechnen kann, aber feststelle, dass der anrufende Mensch den Wunsch hat, über seine Problematik wenigstens angehört zu werden, dann frage ich: Wer hat denn diese Diagnose gestellt?

Nicht selten sind es Eigendiagnosen, erstellt mithilfe von befreundeten Personen, die vielleicht Psychologie studiert haben, mithilfe der sozialen Medien, mit den Informationen in Blogs und aus Ärzteseiten im Internet.

Manchmal war es auch der Hausarzt.

Mich irritiert das. Diese Anrufer*innen schreiben für sich etwas fest, identifizieren sich mit dem Namen für eine „Störung“, häufig ohne dass diese in einem sorgfältigen Verfahren ermittelt wurde. Es scheint in einigen Fällen beinahe so etwas wie einen beruhigenden Effekt zu haben, dem Kind einen Namen gegeben zu haben. Manche glauben vielleicht auch, dass die Nennung einer Diagnose ihre Aussicht auf einen Therapieplatz erhöht. Beispiele:

Ich habe ADHS.

Ich habe eine Persönlichkeitsstörung. (!)

Ich habe eine Angststörung.

Ich habe eine Depression.

Manchmal sage ich dann, dass so eine Benennung meiner Meinung nach nicht immer hilfreich ist. Dass es wahrscheinlich für bei der Suche nach einem Therapieplatz mehr nützt, wenn jemand stattdessen die Symptome beschreiben kann, auch die Situationen, in denen sie auftreten.

Symptome weisen auf etwas in unserem Organismus hin, das aus der Balance ist. Es entsteht etwas, worunter wir leiden, wovon wir uns belastet fühlen. Und sie weisen den Weg zu Veränderungen.

Wir müssen uns nicht darüber definieren, wie unsere Symptome in Manualen wie der ICD-10 zu einem „Störungsbild“ zusammengefasst und benannt werden. Wie brauchen es nicht dafür, dass wir Veränderungen einleiten und nach Hilfe suchen. Wir sind nicht unsere Symptome, wir sind mehr als das. Wir haben auch die Kräfte, die nach Veränderung streben.

Viele Menschen haben im Lauf ihres Lebens psychische Schwierigkeiten, die sie so nicht länger erleben wollen. Veränderung ist nicht immer einfach, aber grundsätzlich machbar. Therapie kann helfen. Die Diagnose innerhalb einer Therapie ist bereits Teil eines gemeinsamen Weges. Sie sollte aus deutlich mehr als aus einem Etikett wie z. B. „Angststörung“ bestehen.

Die Benennung einer „Störung“ kann sich als schlimmstenfalls als Hindernis erweisen: Ich habe Berichte von Klient*innen, dass es bei ihnen Verzweiflung oder Abwehr ausgelöst hat und zum Abbruch der Therapie bei dem betreffenden Arzt oder Therapeuten führte.

Mit Diagnosen sei behutsam umgegangen! Sogenannte Störungen müssen nur für die Krankenkasse mit Namen und Nummer versehen werden – wegen der Abrechnung der Kosten.

In einer Therapie schaut man günstigenfalls gemeinsam genauer hin. Jeder Mensch ist einzigartig!

Wie nun könnten wir uns stattdessen gegenseitig mitteilen, wovon wir uns im Leben belastet fühlen und worunter wir leiden? Vielleicht so oder so ähnlich:

Ich kann schwer bei einer Sache bleiben. Am schlimmsten ist es …. Häufig geht es mir so, wenn ….

Ich weiß mich in der Gesellschaft von Fremden nicht zu verhalten. Das hat schon häufig zu Problemen geführt: ….

Ich vermeide sehr vieles, bei dem ich mich nicht 100%ig sicher fühle. Zum Beispiel: ….

Nachts schrecke ich hoch und kann lange nicht einschlafen. Das geht so seit …

Ich komme selten in einen vertrauensvollen Kontakt. Ich wünsche es mir, aber …

Ich bin oft traurig, ohne zu wissen warum. Ich möchte es wissen!

Ich kann mich schwer entspannen. Wie kann ich das lernen?

Ich weiß nicht, wie ich auf andere zugehen kann. Was kann ich da ändern?

Ich habe es schwer, meine Gefühle zu zeigen. Das macht mir Probleme bei…

Ich ecke immer wieder an. Das finde ich ….

Ich fürchte die Ablehnung anderer. Muss das so sein oder gibt es Lösungen?

Ich muss bei Hunden die Straße wechseln. Das und das habe ich schon probiert, aber…

Ich sorge mich so viel um alles Mögliche. Das führt zu keinen guten Ergebnissen, denn …

Ich empfinde manchmal Angst zu sterben und erlebe Panik. Das soll aufhören, denn …

Ich wache nachts auf und grüble. Tags bin ich dann völlig fertig. Das kann so nicht bleiben, denn…

Es ist so schwer für mich, mich zu etwas aufzuraffen. Immerhin rufe ich Sie jetzt mal an, denn …

Ich kann bestimmte Erlebnisse nicht vergessen, sie tauchen plötzlich auf, wenn…

… … … So kommen wir in Kontakt und ins Gespräch!

Und dann die Frage: Was stattdessen? Wie stelle ich mir mein Leben stattdessen vor? Was wäre anders, wenn ich diese Symptome nicht hätte?

Was habe ich bisher versucht, um das zu erreichen? Was hat funktioniert und was nicht?

Mit den Überlegungen und Ideen dazu kommen Sie schon beim ersten Telefonat womöglich in einen guten Prozess!

Eine gute Woche!