Wie Muster entstehen und wieder vergehen können

Die Integrative Kognitive Verhaltenstherapie, mit der ich überwiegend arbeite, beschäftigt sich mit belastendem Gefühlserleben im Hier und Jetzt und den Zielen und Wegen der Veränderung in der Zukunft. Die Besprechung der bisherigen Lebensgeschichte findet dabei durchaus auch ihren Platz, der Hauptaugenmerk der gemeinsamen Arbeit liegt jedoch nicht darauf.
Viele Klient:innen finden das erleichternd. Sie haben teilweise verstörende Erfahrungen hinter sich, bei denen sie sich unter anderem ungeschützt ihren Erinnerungen ausgesetzt fühlten. Manche befürchten aus verschiedenen Gründen, dass dies passieren könnte.

Ein Beispiel für die Arbeit im Hier und Jetzt: Eine Person leidet unter häufigen Schamgefühlen, ihr ist vieles peinlich, sie neigt zum Rückzug und hat es schwer, sich in Gemeinschaften wohl zu fühlen. In den therapeutischen Gesprächen wird diese Person vielleicht schildern, dass sie vieles vermeidet, nämlich Situationen, Personen oder Anforderungen, von denen sie glaubt, nicht zu genügen und sich zu blamieren. So kommt zur Scham die Angst vor der möglichen Blamage und es wird immer schwieriger, die angesprochenen Situationen zu meistern.
Die kognitive Verhaltenstherapie bietet hier ein sehr hilfreiches Instrumentarium, um dieses Dilemma aufzulösen. Die betreffende Person kann lernen, sich selbst zu akzeptieren, auszuhalten, dass sie Fehler macht und sogar, dass andere sie dafür belächeln – nicht etwa durch Gewöhnung und das Ausbilden einer dicken Haut, sondern durch die Entwicklung eines realistische Selbstbildes und dem Abschied von einem selbstschädigenden Selbstwertkonzept: „Ja, es ist ok, etwas nicht hinzukriegen, und die Kritik oder gar Ablehnung durch andere mindert meinen persönlichen Wert nicht!“
Dies zu lernen, braucht in der Regel seine Zeit und einiges an Bereitschaft, sich zu beobachten, ehrlich mit sich zu sein und neue Gedanken und Konzepte einzuüben. Dann funktioniert es häufig gut mit der Veränderung und dem Erlangen verbesserter Lebenszufriedenheit. Unterstützend können Entspannungsübungen und viele kleine Tipps und Tools für den Alltag wirken.

Manchmal knirscht es allerdings bei diesem Prozess, jemand tritt bei allem Bemühen auf der Stelle. Dann ist es nötig, die Instrumente der Kognitiven Verhaltenstherapie zu ergänzen und andere Methoden und Herangehensweisen zu integrieren. Dies können bewusste und gelenkte Körpererfahrungen sein, Trancen und verschiedene Wege, das Unbewusste mit dazu zu laden und in tiefere innere Prozesse einzusteigen – zum Beispiel mit Hilfe geeigneter Bilder.

Warum ist das so?

Die frühen Erfahrungen der Klienten können so mächtig wirksam sein, bis hinein ins Hier und Jetzt, dass die Klient:innen sich als blockiert erleben und Frustration empfinden. Oftmals ist die Verbindung vom Jetzt zum Früher vernebelt, verborgen und nicht ohne Weiteres zugänglich.

Zum Beispiel erweisen sich Kindheitserfahrungen, in denen die grundlegenden Bedürfnisse nicht genügend erfüllt wurden, häufig als hindernde Stolpersteine auf dem Weg in die gewünschte Veränderung.

Ein auf Grundlage dieser Mangelerfahrung heranwachsender Mensch bildet Verhaltensweisen, Sichtweisen, Erlebensweisen heraus, die ihm zunächst sinnvoll scheinen. Wir alle haben im Kindesalter noch recht eigeschränkte Möglichkeiten, unsere Erfahrungen zu betrachten, und unser Repertoire zu reagieren wird sich erst Schritt für Schritt herausbilden. Im Heranwachsen bilden sich dabei im ungünstigen Fall eher starre, einengende Muster. Muster, die letztlich selbstschädigend wirken, bedürfen der Korrektur. Und solche, die aus der mangelhaften Bedürfniserfüllung heraus gebildet wurden, sollten mittels der Erkenntnis ebendieses Prozesses durch angemessene Muster ersetzt werden, damit es den Klient:innen besser geht.

Wurde zum Beispiel das Bedürfnis nach Bindung verletzt, kann die Reaktion sein, dass ein Mensch sich ängstigt, immer wieder verlassen und enttäuscht zu werden. Diese kann er versuchen zu bändigen, indem er versucht, für andere wichtig zu werden. Eine der Möglichkeiten ist es, sich aufzuopfern, Besonderes zu leisten, souverän und selbstbewusst zu wirken.
Von anderen abgelehnt zu werden, wenn man dabei Fehler macht, sich gar blamiert, kann dann  Panik auslösen. Dann geht es nicht allein darum, in seinem Selbstwert eine Schädigung zu erleben, sondern auch um die große Angst, Bindung erneut zu verlieren oder gar nicht erst zu erlangen.
Die wiederholte Verletzung des Bedürfnisses nach Bindung kann zu Depression, Angsterleben, Rückzugsverhalten, Aggression oder Sucht führen.

Durch das Herstellen von biografischen Bezügen zu den aktuellen Problemen und mittels der Orientierung an emotionalen Grundbedürfnissen werden die Muster des Erlebens und Handelns auf den Prüfstand gestellt.
Interventionen, die frühere Erlebnisse aktivieren und neu erfahrbar machen, können die klassische kognitive verhaltenstherapeutische Arbeit wesentlich bereichern und ergänzen, Blockaden können sich damit lösen. Wenn dies gut eingebettet ist in vertrauensvolles Miteinander in der Therapie und auch verabredet wurde, wie etwaige Überflutung rechtzeitig bemerkt und gestoppt werden kann, können Klient:innen meist Ja dazu sagen.

Wir klären die Fragen: Welche emotionalen Grundbedürfnisse wurden in der frühen Biographie von bedeutsamen Bezugspersonen unangemessen oder unzulänglich erfüllt, welche emotionalen Grundbedürfnisse wurden von bedeutsamen Bezugspersonen angemessen unterstützt, welche Schemata oder Muster bildeten sich heraus und haben sich im Erwachsenen verfestigt? Welche Auswirkungen hat dies auf das Erleben, die Wahrnehmung, die Reaktionsweisen heute?
Aus der erwachsenen Sicht wird die Vergangenheit bereist und es wird erforscht und benannt, was das Kind gebraucht hätte, um zu einer positiven Erwartungshaltung, zu Selbstbewusstsein und Regulationsfähigkeit zu gelangen.

Szenen der Kindheit können nunmehr neu erlebt werden. Es können positive Bilder eingebaut, Szenen verändert werden, das Erwachsenen-Ich kann in die Szene eintreten und das Kind von damals schützen und bestärken. Manchmal wünschen sich Klient:innen eine Begleitung durch innere Helfer:innen, sie entdecken, dass Menschen aus dem heutigen Umfeld imaginativ mitgenommen werden können, die sie innerlich an der Hand halten. Trost kann in die Vergangenheit gesendet werden und Unterstützung, selbstschädigende Muster werden entmachtet und neue entwickelt.

Durch welche Methodik dies jeweils geschieht, wird von der persönlichen Geschichte der Hilfesuchenden abhängen, von ihren Ressourcen und Zielen. Rollenspiele, Stühle-Dialoge, Imaginationen, EMDR… Entscheidend ist die Herangehensweise: Wenn die Arbeit im Hier und Jetzt in Kontakt kommt mit frühem Erleben, werden aus Stolpersteinen womöglich Meilensteine!

Wie das?

Eine neue Brille aufzusetzen, einen neuen Scheinwerfer zu richten, sich der Ressourcen bewusst zu sein und sie zu aktivieren, die Filter der Wahrnehmung und Interpretation der Welt zu verändern, das ist möglich!

Neue Kognitionen treten dann allmählich an die Stelle von alten:

  • Statt „Ich werde bestimmt wieder von Menschen verlassen, die mir wichtig sind!“ oder „Ich bleibe wohl immer allein!“
    Künftig: „Ich habe Menschen um mich, die loyal zu mir stehen“, „Wenn es sein muss, komme ich eine Weile auch allein zurecht und kann mir neue Beziehungen aufbauen“, „Ich muss mich nicht an andere klammern, damit ich nicht verlassen werde!“
  • Statt „Nähe ist gefährlich!“ oder „Meine Grenzen werden nicht respektiert!“
    Künftig: „Ich vertraue darauf, dass andere mich fair behandeln“, „In meinen Beziehungen fühle ich mich meistens sehr sicher“, „Niemand wird mich absichtlich verletzen!“
  • Statt „Niemand kümmert sich um mich!“ oder „Niemand hört mir zu!“
    Künftig: „Ich werde wahrgenommen und bekomme Unterstützung, wenn ich sie brauche oder darum bitte“, „Meistens ist der Umgang mit mir wertschätzend!“
  • Statt „Ich gehöre nicht dazu!“ oder „Ich bin anders!“
    Künftig: „Ich werde in meinem Umfeld von Menschen akzeptiert“, „Ich bin anderen wichtig“, „Wenn ich mich integrieren möchte, gelingt es mir häufig“, „Ich gehöre dazu, so wie ich bin!“
  • Statt „Ich bin peinlich“, „Ich erfülle die Erwartungen nicht“, „Kritik ist für mich beschämend!“ oder „Wenn die merken, wie ich wirklich bin, werde ich verlassen oder ausgestoßen!“
    Künftig: „Mit all meinen Schwächen und Fehlern bin ich liebenswert“, „Ich muss nicht perfekt sein“, „Auch wenn ich mich öffne und zeige, wie ich bin, kann ich auf Aufmerksamkeit und Zuwendung vertrauen!“

Eine gute Woche!