Es war einmal… Spurensuche

Es war einmal
und war vergessen,
es war nicht wichtig.
Ich hab es gar nicht bewusst mitbekommen,
ich war noch viel zu klein!
Das kann doch gar nichts bewirkt haben.

Ja, sagt jemand, mein Vater starb, als ich drei Jahre alt war.
Ich weiß nichts davon, außer aus Erzählungen der damals Erwachsenen.
Sie erzählten oft von sich, von ihrem Kummer.
Du warst ja noch klein, haben sie gesagt, du erinnerst dich nicht an ihn.
Stimmt, aber Euer Kummer lebte ja noch viel länger…

Und dann… tauchen Fragen auf.
Wirkt es doch noch bis ins Hier und Heute?
Woran kann ich das merken?
Muss ich mich damit beschäftigen?

Ja, sagt jemand, ich war so krank, als ich klein war,
ich war erst im Krankenhaus und dann lag ich zu Hause in meinem Bettchen.
Ab und zu sah jemand nach mir.
Essen bringen, Windeln wechseln.
Ich weiß das aus Erzählungen.
Und tief im Innern glaube ich zu wissen:
Ich war viel allein.
Bei Abschieden muss ich immer weinen.
Und Angst vor Abschieden hab ich auch.

Ja sagt jemand, meine Eltern haben sich getrennt,
da war ich noch ganz klein.
Papa kam selten, fast nie,
und nie zu mir, zu ihr kam er.
Meist gab es wieder Streit.
Es ist wie ein schwarzes Loch.
Das blieb mir von ihm.

Ja, sagt jemand, meine Schwester hat die Familie verlassen,
da war ich noch im Bauch meiner Mutter.
Sehr selten habe ich sie gesehen, zum ersten Mal,
als ich schon im Kindergarten war.
Überall waren ihre Spuren,
sie war weg.
Heute sehen wir uns einmal im Jahr.
Das tut uns beiden gut.

Ja, sagt jemand, es war vielleicht so,
dass ich im Bauch der Mutter noch einen Zwilling hatte.
Ich weiß nicht, ob das stimmt,
ich weiß nur, das kommt vor,
dass eins im Leib noch geht,
sich auflöst, bevor es – ja, was?
Keine Ahnung, wieso mir das so vorkommt,
als wäre es für mich wahr.
Hab ich als kleines Kind gesucht?
Wo ist es, unter dem Tisch,
hinter dem Vorhang?

Ja, sagt jemand, es ist mir so,
als hätte eine Seite von mir damals beschlossen,
hier bleibe ich,
bei diesem Verlust.
Ich bleibe, bis
das Rätsel enträtselt wird,
das Rufen ein Echo findet,
die leere Hand etwas greifen kann.

Ich bleibe, sagt eine Seite von mir,
bis ich Spuren gefunden habe
und Antworten bekomme,
seien sie auch ohne Worte,
ich bleibe, bis ich verstehe.

Ich rufe aus der Tiefe, sagt jemand,
morgens, wenn die Nacht zu Blau wird,
wenn mein Geist keine Ablenkung hat,
wenn ich selbst nicht damit rechne.

Das Kind, das etwas verloren hat,
will ein Zuhause.

Spurensuche.