Neulich sagte meine Begleitung beim Spaziergang im Wald zu mir: „Ich werd’ auch immer schreckhafter!“ Sie hatte sich erschrocken, weil ein Jogger von hinten näher kam. Sie hatte ihn zuvor bemerkt und sich dennoch erschrocken.
Ich hingegen hatte nicht damit gerechnet, dass der Jogger plötzlich rechts an mir vorbeiziehen würde. Als es soweit war, sagte ich zwar „Huch“, aber ohne die körperlichen Erscheinungen zu erleben, die man für gewöhnlich mit Schreck verbindet: Herzklopfen, flaues Gefühl im Bauch, Anspannung.
Auch ich kenne Situationen, auf die ich unangemessen reagiere. Ich erschrecke mich, wenn eine Person, auch eine ganz vertraute, von deren Anwesenheit ich weiß, plötzlich im Spiegel hinter mir erscheint. Ich erinnere mich an eine Urszene, die schon Jahrzehnte zurückliegt. Die Szene hat sich so nie wiederholt. Der Schreck ist geblieben. Es gibt also einen sogenannten Trigger, einen äußeren Reiz, der mein neuronales Netzwerk aus der damaligen Situation wieder auf den Plan ruft.
Ich kann damit leben. Sollte ich das einmal anders sehen, weiß ich, dass solche neuronalen Netzwerke grundsätzlich beeinflusst werden können.
Wenn etwas Unerwartetes geschieht, ist es gesund, mit Schreck zu reagieren, denn diese zunächst körperliche Reaktion soll das Überleben sichern. Der Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt, unter anderem Adrenalin wird ausgeschüttet, damit die möglicherweise erforderliche Flucht aus dem Stand sofort durchgeführt werden kann. Der Pulsschlag steigt, die Muskeln sind angespannt, alles bereit.
Stellen wir dann fest, dass keine Gefahr droht, ebbt die Reaktion nach einigen Minuten ab, wir beruhigen uns.
Zum Thema ein nettes Bild, das ich im Web fand: (Urheberrechte: Andy Dean, gefunden bei https://wiki.yoga-vidya.de/Datei:Frau.Schreck.PC.Blumen_MP900442366.JPG#filelinks)
Laute Geräusche können der Auslöser von Erschrecken sein. An Sylvester weiß ich ja, dass es knallt, ziemlich genau, aus welchen Ecken der Knall kommt, wie oft, wie laut, normalerweise ungefährlich, egal, ich zucke zusammen.
Wenn ich mich in den Gedanken hineinsteigere, dass ein Feuerwerkskörper einen Brand auslösen könnte, die zugehörigen Bilder schon vor mir sehe, dann ist die Anspannung, die ich als Angst erlebe, perfekt bis zum nächsten Morgen. Hier ist die Eingangstür zur Veränderung deutlich: Meine eigenen Gedankenkaskaden sind zu stoppen!
Ich kenne einige Autofahrer*innen, die bei von rechts kommenden Autos erschreckt zucken, unruhig sind, bis die Einmündung hinter ihnen liegt. In den meisten Fällen haben sie früher einen Unfall erlebt.
Für eine ältere Verwandte ist es ein Gräuel gewesen, wenn vor dem Fenster plötzlich ein Gesicht erschien. Es konnte ein freundliches Gesicht sein und die Absicht gut – sie hatte im Bruchteil einer Sekunde die Erinnerungen an Krieg und Verfolgung mit all ihren Bildern parat und der Schreck fuhr ihr buchstäblich in die Knochen.
Diese gängige Formulierung weist uns darauf hin, wie sehr unser Körper an dieser Reaktion beteiligt ist. Daher ist eine Eingangstür zur Veränderung oftmals die Arbeit mit dem Körper. Dazu später eine Übung.
Solche klar umgrenzten Schreckauslöser sind mit verschiedenen Methoden grundsätzlich auflösbar, mit der Einschränkung, dass unter Umständen weitere psychische – oder auch körperliche – Ursachen vorliegen, die gefunden werden sollten.
Schreckhaftigkeit meint noch etwas anderes, nämlich eine deutlich erhöhte Bereitschaft, mit Schreck zu reagieren. Etwa, dass das fragliche äußere Ereignis bei den meisten Menschen nicht zur Schreckreaktion führt, wie beispielsweise das Zuklappen einer Autotür.
Ein andauernder Beunruhigungszustand, sei es durch erhöhte Erschreckensbereitschaft, sei es durch verlangsamtes Abflauen der Körperreaktion, sei es durch den Übergang in stetige Erwartungsangst, kann körperlich sehr krank machen. Der Dauerstress kann zu Schmerzzuständen führen oder zu einer Überlastung des Herz-Kreislaufsystems. Dies wiederum kann durch unsere Bewertung zu weiterem Stress führen, den Weg in eine Angsterkrankung bahnen.
Erwartungsangst, überhöhte Wachsamkeit ist ebenfalls eine mögliche Ursache körperlicher Erkrankungen oder zumindest verstörender Körperempfindungen. Traumatisierend erlebte Szenen der Vergangenheit oder auch eine dauerhaft traumatisierende Umgebung in der Kindheit – durch Vernachlässigung oder Gewalt – können diese überhöhte Wachsamkeit mit all ihren Folgen in der Psyche verankern. Wer so leidet, findet den Weg manchmal erst spät in eine Psychotherapie. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass dieser Weg sich auch im fortgeschrittenen Alter noch lohnt.
Meine Begleitung findet ihre wachsende Schreckneigung unangenehm, beunruhigend und lästig. Sie stört, dass sie weder weiß, wie es zu dieser Veränderung kommt, noch, was sie dagegen tun könnte.
Zunächst kann sie versuchen herauszufinden, ob sie derzeit unter vermehrtem Stress leidet, dann wäre das vegetative Nervensystem ohnehin im Alarmzustand, der leicht und schnell durch Kleinigkeiten zu steigern ist. Dann wären die Ursachen des Stresszustandes auf ihre Veränderungsmöglichkeiten zu prüfen.
Beispiel Prüfungsangst: Wer glaubt, sein Leben und Wert hinge vom Erfolg ab, wer sich daher stets beweisen muss, setzt sich unter einen selbstschädigenden Stress, der langfristig weder dem Erfolg dient noch der Gesundheit.
Beispiel Angst um Leib und Leben: Wer untergründig stets fürchtet, zu Tode kommen zu können, verhindert mit diesem Gedankenkonstrukt keinen einzigen Unfall oder sonstiges lebensbedrohliche Ereignis.
Solchen selbstgebauten Stress machen wir uns mit unseren Gedanken – daher können wir lernen, diese Gedanken auf eine andere Basis zu stellen. Wir können lernen, in einem schlechten Abschneiden bei einer Prüfung keinen Wertverlust zu sehen. Wir können dann sagen: Blöd gelaufen, mal gucken, wie ich es beim nächsten Mal besser hinkriege. Wir können lernen, Todesangst durch ein realistisches Wissen um unsere Sterblichkeit – und deren Akzeptanz – und eine gesunde, fürsorgliche Aufmerksamkeit für unser Leben zu ersetzen.
Bei erhöhtem Stress durch äußere Umstände – es werden beispielsweise mehr oder größere Aufgaben an uns herangetragen, die wir uns dann entscheiden, bewältigen zu wollen – hilft es, sich immer wieder klar zu machen, dass dieser Zustand grundsätzlich vorübergehend ist. Entweder die besonderen Aufgaben sind gelöst, oder wir entscheiden uns um.
Eine solche Verursachung ist nicht zu entdecken? Seis drum: Dann können Übungen zur Selbstregulation helfen.
Das Erlernen der Progressiven Muskelentspannung oder des Autogenen Trainings sind bekannte und anerkannte Möglichkeiten, die Selbstregulation zu fördern.
Heute will ich eine Übung weitergeben, die Du sofort anwenden kannst, die Sie sofort anwenden können:
Bitte den eigenen Atem einfach beobachten, im Stehen, Sitzen oder Liegen. Nicht bewerten und so wenig wie möglich beeinflussen! Nur Schauen und Spüren: wie schnell oder langsam, wie tief oder flach, wie regelmäßig oder unregelmäßig…
Nun einige Vorbemerkungen zur Übung:
Hast Du eine Erinnerung daran, wie Tiere, die Du vielleicht einmal beobachtet hast oder kleine Kinder atmen? Der ganze Körper scheint zu atmen, die Flanken, der Bauch weiten sich sichtbar und fallen wieder zusammen.
Erwachsene haben meist gelernt, über den Atem Gefühle zurückzuhalten. Denke an Menschen, die eine starke Empfindung vermeiden wollen, weil sie ihnen unpassend erscheint – das erkennst Du auch am oft kurzen flachen Atemzug. Dies geschieht unter anderem mit Muskelanspannung, mit der wir uns auch schützen wollen. Zunächst ist dies also eine Funktion der Abgrenzung.
Tiefe Atemzüge aber geben uns Energie, können uns mit Ruhe füllen und eine Empfindung der Verbundenheit herstellen. So helfen sie uns bei der Selbstregulation.
Beides sollte uns also zur Verfügung stehen. Abgrenzung und Öffnung.
Um dem ungehinderten Fluss des Atems Raum zu geben, begib Dich nun in den Vierfüßerstand, wie Du ihn vielleicht aus der Gymnastik oder der Yoga kennst, verharre aber bei dieser Übung einfach in dieser Position. Lass Deinem Bauch die Chance, zu sein, ziehe ihn nicht ein, lass locker. Nun beobachte, wie Die Atemluft Dich füllt und fließen kann. Pushe nicht, nicht angestrengt, sondern ruhig atmen.
Dies tue so für einige Minuten, erzwinge nichts. Alles was möglicherweise hochkommt, ist in Ordnung, nimm es einfach wahr.
Ende der Übung. Wenn Du Dich damit gut gefühlt hast, wiederhole es bei Gelegenheit.
Wenn Du in Aufregung gerätst, gib besonders dem Ausatmen Raum. Am Ende des Ausatmens warte einen kleinen Augenblick bis zum nächsten Einatmen. Dies hilft Dir bei der Regulation und Du wirst ruhiger.
In diesem Sinne: Schreck lass nach!