Debattieren, diskutieren

Mögen Sie das, magst Du das?
Gestern habe ich mal wieder an einem kleinen Filmzirkel teilgenommen, es gab einen Film, über den es sich prächtig diskutieren ließ. Ein Teilnehmer fragte mehrmals, ob wir denn eigentlich alle den gleichen Film gesehen hätten. Die Meinungen gingen an vielen Stellen und ihren Interpretationen sehr weit auseinander. Die Sicht darauf war manchmal überraschend: Ach, so kann das auch betrachtet werden?
Die lockere Gruppe setzt sich mehrheitlich aus Menschen zusammen, die schon recht lange das Rentenalter erreicht haben. Einige kennen sich auch aus anderen Zusammenhängen, einige schon seit vielen Jahren. Und sie diskutieren und debattieren, geben Statements ab, regen sich kurz mal auf, gehen mal gut aufeinander ein, mal gar nicht, finden an einzelnen Punkten Konsens, an anderen ü b e r h a u pt nicht… Wunderbar!
Als wir spät am Abend auseinander gingen, waren einige noch kräftig dabei, zusammen stehend oder beim Aufräumen, beim Gehen in der Tür, immer nochmal ihren Standpunkt zu verteidigen. Es ging ja um nichts, nicht um irgendwelche Entscheidungen. Es war aber wichtig, gehört zu werden, sich verständlich zu machen.
Wo gibt es das noch in meinem Leben, habe ich überlegt.
Fast nirgends, antworte ich mir.
Welch ein Verlust!
Das war doch nicht immer so? Was hat man sich manchmal die Köppe heißgeredet, Bücher, Filme, politische Einschätzungen, Ansichten zu gemeinsamen Erlebnissen… Da konnte auch mal gefragt werden: Haben wir die gleiche Szene erlebt, da konnte auch mal gestutzt und gestaunt werden: Ach, so kann das auch betrachtet werden?
Heutzutage erlebe ich häufig, dass bei einer Meinungsäußerung gleich die große Keule geschwungen wird, relativiert, für unangemessen erklärt, abgewehrt, aus dem Feld gegangen, in eine bestimmte Ecke gedrängt – am liebsten die anderen mundtot machen – Meinungsaustausch geht anders.
Ich will nicht damit sagen, dass es das früher nicht auch häufig gab, das unfaire Abwürgen anderer Meinungen. Ich meine aber, es wurde zur bestimmenden Haltung und das finde ich tatsächlich schlimm.
Ganz schlimm wurde es, als Herr Lucke, dessen Ansichten und Handlungen ich nicht gutheiße, in der Hamburger Uni in diesen Tagen daran gehindert wurde, einen Vortrag zu halten. Die ihn hören wollten, mussten durch ein Spalier den Ort verlassen und sich beschimpfen lassen.
Es wäre besser gewesen, so denke ich, in die Debatte einzusteigen.
Sagen deshalb so viele nicht, was sie denken, weil sie solche Reaktionen fürchten? Und haben diejenigen, die in letzter Zeit immer lauter und immer dreister strafrechtlich relevante Äußerungen aus der ganz rechten Ecke kund tun, im Moment so ein leichtes Spiel?
Könnten wir zum Diskutieren und Debattieren zurückfinden? Ich wünsche es mir!

Für diese Woche habe ich mir vorgenommen, zu schauen, ob ich mir ein falsches Urteil gebastelt habe, ob meine Sicht der Realitätsprüfung nicht standhält und ob ich Debatten selber anstoßen mag.

Vielleicht Du auch, Sie auch?
Eine schöne und lebendige Woche!

Ulrike Roderwald

P.S: die Kommentarfunktion habe ich abgeschaltet, weil ich über diese praktisch nur Werbung erhielt, Spamfilter hin oder her. Wenn Sie mit mir diskutieren wollen, schreiben Sie mir doch mal an info@heilpraxis-psychotherapie-roderwald.de. Und schreiben Sie dazu, ob Sie das hier veröffentlicht sehen wollen!